Das Geheimnis der Maurin
schämen müssen: 1066 haben unsere Glaubensbrüder aus Wut über den jüdischen Großwesir Joseph ibn Naghrela sämtliche Juden aus Granada vertrieben; die Familien, die sich weigerten, die Stadt zu verlassen, wurden gnadenlos niedergemetzelt. Eintausendfünfhundert Familien fanden dabei den Tod! Auch gegen die Christen gab es von unserer Seite in der Vergangenheit einige bedauerliche Übergriffe – und das, obwohl die Christen und die Juden Dhimmi sind und damit immer unter unserem Schutz standen!«
»Das alles weiß ich selbst – und es ist fünfhundert Jahre her!«
»Meinst du nicht, du machst es dir damit ein bisschen zu einfach? Oder lass es mich umgekehrt formulieren: Fändest du es richtig, wenn die Christen genau dies in fünfhundert Jahren selbst über diese Vorfälle sagen würden? Macht es das besser, wenn etwas schon lange zurückliegt? Sollte man nicht lieber endlich, endlich daraus lernen?«
Zahra hob die Hände und ließ sie hilflos wieder sinken. »Was erwartest du von mir? Dass ich jetzt vor Mitleid mit den Christen in Tränen ausbreche? Gar dies alles als gerechte Strafe ansehe?«
»Nein, gewiss nicht, aber dass du zumindest versuchst, nicht alles nur noch in Schwarz und Weiß zu sehen. Sieh den Menschen, den Einzelnen – und nicht, welcher Religion er angehört. Schau in sein Herz – wie du es auch früher getan hast. Lass dich nicht auffressen von deiner Verzweiflung und deinem Hass!«
Zahra presste die Lippen zusammen. »Als wenn das so einfach wäre!«
»Natürlich ist es das nicht, aber wir müssen es wenigstens versuchen.«
Zahra hob die Achseln, raffte sich dann aber doch zu einem vagen Nicken auf. »Und was wird jetzt mit Abdu? Meldest du ihn nun in der Koranschule an oder nicht?«
»Nicht ohne mit Jaime zu reden. Aber wenn du nicht selbst mit ihm darüber sprechen willst, kann ich es gern für dich tun. Yaqub wird sich freuen, mit Abdu zusammen dorthin gehen zu können. Viele seiner alten Freunde sind mit ihren Eltern von Granada weggezogen; ich glaube, er fühlt sich dort derzeit recht einsam.«
»Gut.« Zahra nickte und machte Anstalten zu gehen.
Raschid hielt sie an der Hand fest. »Zahra, das alles war mir eben ganz ernst: Du musst aufhören, dich in diesen Hass hineinzusteigern! Du machst dich damit nur unglücklich, dich und alle, die dich lieben und die du liebst!«
Wortlos machte sich Zahra von ihm frei und verließ den Raum, ohne sich noch einmal umzusehen.
Als Jaime am nächsten Abend nach Hause kam, maß er Zahra mit kühlem Blick und sprach weder vor noch während des Abendessens auch nur ein Wort mit ihr oder einem der anderen. Lediglich den Kindern gab er einen flüchtigen Begrüßungskuss. Zahra bemerkte, dass er an der Schläfe eine kleine Platzwunde und tiefe Schürfwunden am rechten Unterarm hatte, wagte aber nicht zu fragen, woher sie rührten. Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass nicht diese Verletzungen der Grund für seine Verstimmung waren. Ihr entging auch nicht, dass Raschid, der erst während des Essens zu ihnen stieß, von Jaime ebenfalls ignoriert wurde. Unter der frostigen Stimmung aßen sie weit zügiger als sonst, und nach dem Dessert verließen alle so schnell den Wohnraum, dass Zahra nicht mehr dazu kam, ihren Bruder beiseitezuziehen, um von ihm zu erfahren, was geschehen war. Kaum hatte sich Zahra von dem niedrigen Tischchen erhoben, knurrte Jaime sie an, dass er mit ihr zu reden habe. »Und zwar oben, in unserem Zimmer!«
Zahra ließ sich Zeit. Sie hasste Befehle, außerdem verhieß die Tatsache, dass er sie nach oben beorderte, nichts Gutes.
Als sie ihr Schlafzimmer betrat, erwartete Jaime sie mit sichtlicher Ungeduld. Breitbeinig stand er mitten im Zimmer und herrschte sie an: »Was bildest du dir eigentlich ein?«
Zahra schluckte. »Falls es um Abdarrahman und die Koranschule geht …«
»Worum sonst sollte es gehen?« Jaimes Zorn war so groß, dass er ihr die Worte entgegenspie. »Und ich sage dir: Er wird nicht in die Koranschule gehen, sondern den Katechismus lernen! Eigentlich wollte ich den Jungen schon längst taufen lassen, aber ich dachte, ich gebe dir noch ein wenig Zeit, dich an die neuen Umstände zu gewöhnen. Ich war mir sicher, dass du dann von selbst begreifen würdest, dass die Taufe das Beste für Abdu ist!«
»Niemals wird eines meiner Kinder einen Fuß in ein christliches Gotteshaus setzen und noch viel weniger die Taufe annehmen!«, erwiderte Zahra mit zitternder, aber doch entschlossener
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