Das Geheimnis der Maurin
eingeschlafen war, und auch Miled schlief in Chalidas Halsbeuge. Zahra zog die Decke ein Stück höher, strich auch der kleinen Ranaa noch einmal über den Kopf und ging nach unten in den Wohnraum, wo die Erwachsenen zusammensaßen. Als sie das Zimmer betrat, warf Raschid gerade die Frage auf, wie ihr aller Leben nun weitergehen sollte. »Da wir unser Gold nicht wiederhaben, hat es wenig Sinn, nach Portugal aufbrechen. Die Portugiesen werden uns ohne entsprechende Zahlungen nicht ins Land lassen. Außerdem hat sich unsere Situation entscheidend verändert: Jaime und Zahra werden nicht weiter von den Kastiliern gesucht, und die Bedingungen für uns Mauren und auch für die Juden«, er warf einen kurzen, fürsorglichen Blick zu Deborah, »sind jetzt weit besser, als wir zu hoffen gewagt haben. Ich denke, wir sollten in Granada bleiben. Außerdem finden wir hier auch eher Arbeit als anderswo!«
Jaime nickte. »Ja, wir sollten in der Tat erst einmal bleiben und sehen, wie sich alles entwickelt. Und bevor ich nicht den Hintermann von Chalidas Entführung erwischt habe, kann ich sowieso keine Nacht mehr ruhig schlafen!«
Ohne etwas zu sagen, setzte sich Zahra wieder zwischen ihre Schwester und Deborah. Auch diese schwiegen zu den Plänen der Männer, allerdings entging Zahra nicht der Schreck, der in den Augen ihrer Schwägerin aufflackerte, als Raschid vom Bleiben sprach – und sie konnte nachempfinden, was in ihr vorging: Sie hätte es an Deborahs Stelle auch vorgezogen, in Portugal zu leben, wo die Juden weit besser behandelt wurden als in Kastilien. Und sie? Was und wohin wollte sie selbst? Zahra wusste es nicht. Einerseits war sie so tief in Granada verwurzelt, dass sie sich selbst unter der Christenbelagerung lange geweigert hatte, es zu verlassen, andererseits wusste sie nicht, ob sie die Änderungen würde ertragen können, welche die Kastilier ihrer Heimat zweifelsohne beibringen würden. Das Granada, wie sie es kannte, würde von Tag zu Tag mehr verblassen. Mitten in ihr Grübeln hinein betrat Zubair den Raum. Er meldete einen Boten von der Alhambra – und verbesserte sich sogleich verlegen: »Einen Boten von den Christen, wollte ich sagen, Herr!«
Genau das ist es, schoss es Zahra durch den Kopf. Alles hier scheint zu sein, wie es war – und doch ist schon jetzt alles ganz anders!
»Von den Christen?« Raschid sah erstaunt zu seinem Schwager.
»Ich gehe und spreche mit dem Mann.« Jaime erhob sich. »Vielleicht hat mein Bruder ihn geschickt!«
Zahra sah Jaime nachdenklich hinterher.
»Und du, Zahra?«, riss ihr Bruder sie aus ihren Gedanken. »Was denkst du? Es ist doch sonst nicht deine Art, zu den Dingen zu schweigen!«
»Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll, Raschid. Was wäre das Richtige oder Beste? Nein, wirklich, ich weiß gar nichts mehr. Selbst im Krieg habe ich mich weniger verloren und orientierungslos gefühlt als jetzt.«
»Ich würde schon lieber wieder weit weggehen«, erklang es da schüchtern von Zainab. Sie strich sich die feinen, aschblonden Haare hinter die Ohren und ließ ihre Hand danach auf ihrem Hals liegen, als müsse sie sich irgendwo festhalten. »Es … es ist nicht zuletzt Ibrahims wegen, wie ihr euch sicher denken könnt. Seit der Krieg zu Ende ist, habe ich fast jede Nacht Alpträume, dass er sich aus der Sklaverei befreien kann, um sich an mir zu rächen.« Von Wort zu Wort war ihre Stimme noch leiser geworden.
Bei der Nennung des Namens ihres Schwagers zuckte auch Zahra zusammen. Ursprünglich war Ibrahim von ihrem Vater ihr als Ehemann zugedacht worden, und nachdem er ihr schon vor der Hochzeit eine ebenso deutliche wie widerwärtige Kostprobe dessen gegeben hatte, was sie in ihren Nächten mit ihm später zu erwarten hatte, hätte sie alles darum gegeben, dieser Ehe zu entgehen – und später war sie ihr tatsächlich erspart geblieben, allerdings durch Umstände, die sie nicht zu verantworten hatte. Umso mehr traf es sie, als sie bei ihrer Rückkehr feststellen musste, dass ihr Vater Ibrahim nun ihre jüngere Schwester zur Frau gegeben hatte. In Málaga trafen Jaime und sie die beiden später wieder, und als Zahra sah, dass aus ihrer einst so kecken und fröhlichen kleinen Schwester eine überängstliche, niedergedrückte Frau geworden war, brach es ihr fast das Herz. Kurz nach dem Fall Málagas sah Jaime eine Möglichkeit, aus der Stadt zu fliehen, und Zahra konnte ihn dazu bewegen, Zainab und ihren kleinen Bruder, der damals bei Zainab lebte,
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