Das Geheimnis der Medica: Historischer Roman (German Edition)
nur genickt und leise gesagt: »Wie komme ich hier ungesehen heraus?«
* * *
Es war der Tag vor Festum nativitatis Mariae . Der Einzug des Erzbischofs auf Burg Landskron gestaltete sich wie der siegreiche Einmarsch des Eroberers in eine belagerte Stadt, die bedingungslos kapituliert hatte. Zwar standen zahlreiche Soldaten und Bedienstete des Grafen und eine Menge Schaulustiger und Neugieriger Spalier, aber niemand jubelte oder war gar fasziniert oder begeistert. Schweigsam sahen die Menschen zu, wie der Wagen des Erzbischofs an der Spitze des riesigen Trosses, umringt von einem Dutzend Leibwachen, im Innenhof zum Stehen kam, gefolgt von einem weiteren Wagen, unter dessen Plane wohl etwas ganz Besonderes transportiert wurde, denn die schwerbewaffneten Söldner des Erzbischofs ließen ihn keinen Moment aus den Augen.
Als der Erzbischof schließlich würdevoll aus seinem geschlossenen Wagen stieg, gefolgt von Abt Sixtus vom Kloster Heisterbach, begrüßte ihn sein Neffe Gero mit gebeugtem Knie und ehrerbietigem Kuss auf den Ring der rechten Hand. Hinter Gero von Hochstaden wartete ein grimmiger Graf von Landskron darauf, dem unwillkommenen Ehrengast seine Aufwartung machen zu dürfen. Auch er gab ihm den gebührenden Ringkuss und entschuldigte seine Gattin, die sich unwohl fühle. Konrad von Hochstaden durchschaute die Flunkerei, aber diese kleine Unhöflichkeit störte ihn nicht. In zwei Tagen würde er ohnehin mit der ganzen Sippschaft der Landskrons abrechnen.
Chassim, der ein Gemach auf der Burg bewohnte, seit er nicht mehr im Haus der Medica untergebracht war, stand neben seiner Schwester Ottgild und blickte mit ihr durch eine Fensternische auf dem Gang im zweiten Stock des Palastes auf den inneren Burghof hinunter. Von ihrer hohen Warte aus verfolgten die beiden die Ankunft des Erzbischofs.
Chassim stützte sich auf seine Krücke. Mit dem eingegipsten Fuß, der allgemein Aufsehen erregt hatte, kam er gut zurecht. Anfangs war er nur ein paar Schritte gehumpelt, aber seitdem waren zwei Wochen vergangen, und seine Kräfte waren zurückgekehrt. Nach und nach hatte er sich daran gewöhnt, mit der unförmigen gipsernen Hülle, die sein Bein und die Hälfte des Fußes umschloss, umzugehen.
Anna war inzwischen, bewacht von zwei Soldaten, in einem Gemach im ersten Stock des Palastes untergebracht. Das widersprach dem Wunsch des Erzbischofs, aber Chassim hatte darauf bestanden und sich durchgesetzt. Wenn Konrad von Hochstaden wolle, dass Anna im Verlies auf ihren Prozess wartete, solle der Erzbischof persönlich bei ihm vorsprechen, er würde ihm dann schon seine Meinung dazu kundtun, hatte er Gero von Hochstaden kurz angebunden mitgeteilt, als dieser protestierte. Der junge Hochstaden, der ansonsten alle Vorbereitungen für die Verhandlung getroffen hatte, so wie es von seinem Onkel angeordnet worden war, hatte sich schließlich Chassims Forderung gebeugt. Dafür, so hatte es ihm Chassim zugesagt, würden er und die Medica ohne großes Aufsehen und freiwillig auf Burg Landskron übersiedeln.
Nur der Verbleib von Bruder Thomas bereitete dem jungen Hochstaden ganz offensichtlich Kopfzerbrechen. Aber Chassim hatte einfach behauptet, Bruder Thomas habe sich bei Nacht und Nebel davongemacht, ohne jemandem von seinem Fluchtplan zu erzählen. Da müsse wohl die Wache vor dem Haus der Medica geschlafen haben. Gero von Hochstaden war zwar wütend gewesen, doch er konnte nichts mehr daran ändern.
Chassim und Ottgild schauten durch die Fensternische weiter zu, wie der Erzbischof nach der Begrüßung seine Söldner dabei beaufsichtigte, wie sie die Plane des zweiten, von sechs Pferden gezogenen Wagens entfernten. Die beiden Geschwister fragten sich, was dabei wohl zum Vorschein kommen würde.
* * *
Gero von Hochstaden und Graf Georg von Landskron standen neben Abt Sixtus und dem Erzbischof, der vom verspätet herbeigeeilten Burgkaplan untertänigst willkommen geheißen wurde. Konrad von Hochstaden ließ die Begrüßung zerstreut über sich ergehen, während er die Männer anwies, vorsichtig mit den Gerätschaften umzugehen, die sie vom Wagen abluden.
»Ihr habt doch wohl eine Schmiede auf Eurer Burg?«, fragte er dann den Grafen beiläufig.
»Ja, natürlich. Wollt Ihr die Pferde beschlagen lassen?«, entgegnete der Graf einigermaßen überrascht.
»Nein. Aber mein Neffe hat mich wissen lassen, dass Ihr keine Folterkammer habt. In einer Schmiede findet sich für gewöhnlich eine Feueresse, die sich hervorragend dafür
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