Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
Vergangenheit widmen konnte. Er durchforstete die Familienarchive und stieß dabei auf eine Sammlung von Aufzeichnungen und Skizzen in der krakeligen, tintenverschmierten Handschrift des achten Lord Hardmonton. Die Berichte dokumentierten die Forschungsreisen seines
Ururgroßvaters zu antiken Stätten, und über kurz oder lang war Edward in der Lage, die Geschichte der Monduhr und den Zusammenhang mit dem berüchtigten Mondstein zu enträtseln.
Edwards neuerliches Interesse an der Monduhr entwickelte ein Eigenleben, und er fing an, seine Erkenntnisse in einem Tagebuch zu protokollieren. Neben seinen eigenen Aufzeichnungen kopierte er Auszüge aus den ursprünglichen Dokumenten, und seine Nachforschungen ergaben unter anderem, dass die Gerüchte über seinen Vorgänger stimmten. Als Charles Hardmonton bei seinen Kollegen aus der Wissenschaft in Ungnade fiel, weil man ihn verdächtigte, ein kostbares Kunstwerk entwendet zu haben, geschah das, wie Edward herausgefunden hatte, offenbar zu Recht, zumindest auf den ersten Blick.
Das verschwundene Objekt war der Mondstein, ein Opferstein, das Herzstück eines Aztekentempels, der der Mondgöttin Coyolxauhqui gewidmet war. Charles hatte immer wieder öffentlich die systematische Plünderung antiker Stätten angeprangert und wusste, dass der kostbare Stein in Gefahr war. Also ließ er ihn heimlich auf ein anderes Schiff und anschließend nach Hardmonton Hall bringen. Bei der Schiffsladung, die Charles zum Verhängnis wurde, stand der Mondstein fälschlicherweise auf der Frachtliste, an Bord war er aber nie gewesen.
Nachdem Charles sein ganzes Leben archäologischen Studien gewidmet hatte, verspielte er seinen Ruhm um einer einzigen Kostbarkeit willen. Denn er glaubte fest an die magischen Kräfte des sagenumwobenen Steins, den er entdeckt hatte.
Charles Hardmonton machte aus dem Stein die Monduhr, obwohl es offenbar mehrere Jahre dauerte, bis er einen Mechanismus konstruiert hatte, der sich das Licht des Vollmondes zunutze machen und die Uhr zum Leben erwecken konnte. Die Skizzen aus dem Archiv zeigten verschiedene Entwürfe von Zahnrädern und Halterungen für die Kristallkugel.
Sobald der Mechanismus funktionierte und die Macht des Mondsteins entfesselt war, benutzte Charles die Uhr, um einen Blick in seine Zukunft zu werfen. Mit der Genauigkeit eines geübten Forschers wies er die Möglichkeiten und Grenzen der Monduhr nach und verarbeitete seine Erkenntnisse in den Versen, mit denen er die Pfade beschriften ließ, die zur Monduhr hinführten.
Das Gedicht sollte eine Gebrauchsanleitung für die Monduhr sein, für spätere Generationen, für alle sichtbar mitten im Garten. Charles’ Aufzeichnungen gaben aber keinen Hinweis, warum er später verfügte, dass die Kugel mit ihm begraben werden sollte. Der Verbleib der restlichen Teile des Mechanismus blieb rätselhaft, so dass schließlich niemand mehr die Uhr benutzen konnte.
Edwards erste Aufgabe war es also, den Mechanismus ausfindig zu machen und einen passenden Ersatz für die Kugel zu finden. Der Mechanismus war ziemlich mühelos aufzuspüren, nachdem Edward wusste, wonach er suchen musste. Der Holzkasten mit den verschiedenen Zahnrädchen und Metallklammern fand sich zwischen anderen verstaubten Uhren auf dem weitläufigen Dachboden des Herrenhauses. Seine Vorfahren mochten den Kasten als praktisches Ersatzteillager angesehen haben, aber die
Schnitzereien, mit denen er verziert war, führten Edward direkt an sein Ziel.
Einen Ersatz für die Kugel zu finden, erwies sich als schwieriges Unterfangen, und Charles’ Grab zu öffnen kam nicht in Frage. Edward probierte es anfangs mit dem Stopfen einer Kristallkaraffe, den er der Halterung der Uhr anzupassen versuchte. Die Uhr funktionierte einigermaßen, aber die Zukunftsvision, die sich vor ihm entfaltete, war nur ein verzerrtes Abbild seiner gewohnten Umgebung, eine schemenhafte Ödnis. Immerhin war der Beweis erbracht, dass an der Legende der Monduhr etwas dran war, doch Edward begriff, dass er einen ausgefeilteren Ersatz für die Kugel brauchte.
Also kam er auf die Idee, ein Prisma zu verwenden, das er schließlich nach seinen Entwürfen herstellen ließ. So hoch die Erwartungen waren, mit denen er der Fertigstellung entgegensah, so tief war die Verzweiflung, die folgte. Schon beim ersten Gebrauch der Monduhr wurde offensichtlich, warum in seiner letzten Vision alles so öde gewirkt hatte. Das Haus war bis auf die Grundmauern abgebrannt, die jahrhundertealte
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