Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
zu prügeln. Ich kauerte in einer Ecke, als im nächsten Moment Billy zur Stelle war und zur Abwechslung Harry
abends seine gebrochenen Rippen und Blutergüsse zählen konnte.«
»Bravo, Billy.« Mit einem bewundernden Lächeln sah Holly den Mann plötzlich in einem neuen Licht.
»Die Schläge machten Harry nicht viel aus, aber die Demütigung konnte er nicht ertragen, und ich setzte alles daran, in dieser Wunde zu stochern. Am Ende war er ein gebrochener Mann, und ich wusste, dass es Zeit war, ihn zu verlassen.«
»Weil die Monduhr dir damals gezeigt hat, dass er sich deshalb umbringen würde?« Holly war perplex. Sie hatte immer gewusst, dass Jocelyn tausendmal stärker war, als ihre zerbrechliche Erscheinung vermuten ließ, aber dass Jocelyn die Brutalität ihres Ehemannes mit gleicher Münze heimgezahlt hatte, konnte sie sich nur schwer vorstellen.
»Vorher musste ich aber noch etwas erledigen. Die Monduhr braucht ein besonderes Ereignis als Auslöser, um eine neue Zukunftsvision hervorzubringen, in meinem Fall war das ein Brief an Harry, in dem ich ihm ankündigte, dass ich ihn verlasse. Ich machte ihm klar, dass er ein Versager war und ihm niemand eine Träne nachweinen würde, obwohl ich mich, glaube ich, weniger einfühlsam ausgedrückt habe. Nachdem ich den Brief geschrieben und meine sieben Sachen gepackt hatte, machte ich ein letztes Mal Gebrauch von der Monduhr. Sie bestätigte mir, dass niemand, den ich liebhatte, etwas zu befürchten hatte, dass Harry statt meiner Selbstmord begehen würde und ich getrost gehen konnte.« Jocelyn hob den Kopf und sah Holly in die Augen. »Um also auf deine ursprüngliche
Frage zurückzukommen, ja, in gewisser Weise habe ich Harry umgebracht.«
»Und das hast du Paul nie erzählt?«
»Nein. Vor Harrys Tod konnte ich es ihm nicht sagen, weil ich Angst hatte, es könnte die Zukunft verändern. Und später hinderten mich meine Schuldgefühle. Meine Tat war nicht zu rechtfertigen, nicht vor mir selbst, geschweige denn vor Paul.«
»Paul glaubt also immer noch, dass sein Vater ein Unschuldslamm ist?« Holly schüttelte missbilligend den Kopf.
»Paul hat den Brief an Harry gefunden, als das Torhaus geräumt wurde. Ich war zu diesem Zeitpunkt schon offiziell geschieden, so dass die gesamte Hinterlassenschaft an Paul ging. Als er alt genug war, zog er bei mir aus und verließ das Dorf. Ging zum Militär und reiste durch die Welt, überall hin, Hauptsache, weit weg von mir.«
»Keine leichte Zeit für euch beide. Aber jetzt habt ihr euch versöhnt?«
Jocelyn schüttelte traurig den Kopf. »Ich habe es versucht, jahrelang habe ich versucht, wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen, aber er war fest entschlossen, mich aus seinem Leben zu streichen, so als wäre ich diejenige, die gestorben war. Alle Briefe und Karten kamen ungeöffnet zurück. Bis vor ein paar Wochen hatte ich jahrelang kein Wort mehr mit ihm gesprochen.«
»Ich dachte, du besuchst ihn regelmäßig. Du hast doch bei ihm gewohnt, oder? Du warst über eine Woche weg.« Holly war verwirrt, was das Gefühlschaos in ihr nur noch größer machte.
»Du hast den Anstoß gegeben, es noch ein letztes Mal zu versuchen. Ich konnte ihn durch einen Freund aus seiner Militärzeit ausfindig machen, der auch in Fincross aufgewachsen ist. Ich habe praktisch vor Pauls Tür kampiert, bis er mich hineinlassen musste.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Von der Monduhr habe ich nichts gesagt, wenn du das meinst. Ich glaube, da wäre ich zu weit gegangen, aber ich habe ihm erklärt, dass sein Vater mich an den Rand des Selbstmords getrieben hat. Ich habe ihm gesagt, dass ich Harry verlassen habe, auch um ihn zu schützen, nicht nur mich.«
»Hat er zugehört?«
Jocelyn lächelte, und die Falten in ihrem Gesicht glätteten sich. »Ausreichend, denke ich. Wir haben noch nicht alles gekittet, aber so manches.«
Jocelyns Tränen trockneten, doch ihr Lächeln konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schuld, die sie seit vierzig Jahren mit sich herumschleppte, niemals vergehen würde.
Die Wolken, die mittlerweile aufgezogen waren, hatten den blauen Himmel eingetrübt und die milde Luft abgekühlt. Die üppige Vegetation verlor allmählich ihren Glanz, so dass Jocelyn nicht lange zum Aufbruch drängen musste.
»War nicht so ganz gelungen, dieses Picknick, wie?«, seufzte Jocelyn. »Es hat uns beiden den Appetit verschlagen, und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass meine Gelenke eingerostet sind. Ich glaube, ich schaffe es
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