Das Geheimnis der Monduhr: Roman (German Edition)
sie ihren Traum begraben musste, Libby irgendwann einmal im Arm halten zu können. Sie würde nicht erleben, wie ihre Tochter aufwuchs und die Familie vervollständigte, die Tom und sie sich so sehnlich wünschten. Der Kummer, dieses Kind nicht auf die Welt bringen zu können, die Schuldgefühle, dass sie diese Entscheidung ohne Tom getroffen hatte, die Schande, das Leben ihrer Tochter für ihr eigenes geopfert zu haben – das alles nagte an Holly, und sie bezweifelte, jemals damit fertigwerden zu können.
Sie setzte die Kettensäge an, Staubwolken flogen auf und behinderten ihre Sicht. Langsam aber sicher nahm die Spirale Form an, die als dramatische Grundlage gedacht war, aus der die Figuren von Mutter und Kind herauswuchsen.
Obwohl ihr die Arbeit zügig von der Hand ging, machte sie ihr keine Freude. Es war ein Auftrag, der erledigt werden musste, mehr nicht.
Holly kam sich wie eine ausgemachte Heuchlerin vor. Zu ihrer Mutter hatte sie keine innere Verbindung, keine Basis, auf der man aufbauen konnte, und jetzt sollte es noch nicht einmal eine Libby geben, für die sie selber etwas aufbauen konnte. Sie fühlte ihr Misstrauen bestätigt. Sie wäre niemals eine gute Mutter geworden. Es war beschlossene Sache, sie würde Libby opfern, um selber am Leben zu bleiben. Holly hatte das Gedicht immer wieder gelesen, tausendmal. Sie hatte jede Seite des Tagebuchs durchforstet, in der Hoffnung doch noch einen Hinweis zu entdecken, wie sich die Leben-für-Leben-Regel umgehen ließ, aber die Mühe hätte sie sich sparen können, und Holly wusste es. Wenn es einen Ausweg gegeben hätte, hätte Edward Hardmonton ihn gefunden.
Während Holly große Brocken aus dem Stein stemmte, spielte sie mit der Idee, die Monduhr noch einmal zu benutzen. Die Uhr hatte zwar ihr Leben aus der Bahn geworfen, doch gleichzeitig hatte sie ihr auch Zeit mit ihrem Kind geschenkt. Vielleicht hatte Jocelyn recht. Vielleicht war Libby ein Geschenk, das Holly nicht so leichtfertig hergeben sollte.
Außerdem waren ihre neuen Erkenntnisse über die Funktion der Monduhr nicht alle niederschmetternd. Holly wusste jetzt, dass sie am besten und am schnellsten in die Zukunft projiziert wurde, wenn das Mondlicht direkt auf sie fiel. Sie erinnerte sich, wie sie in Toms Unterlagen
geblättert und der Vollmond durch das Fenster des Arbeitszimmers geschienen hatte. Das musste der Grund gewesen sein, warum es ihr plötzlich so viel leichter gefallen war, Dinge zu bewegen. Vielleicht ließ sich doch noch ein Weg finden, Libby an sich zu drücken. Allein der Gedanke, ihr Baby im Arm zu wiegen, ließ Hollys Herz höher schlagen. Aber dann fiel ihr Tom ein. Sie müsste wieder seinen Schmerz mit ansehen, seinen leeren Blick, der durch sie hindurchging – und sie bezweifelte, das noch einmal auszuhalten.
Sie hatte auch noch andere Befürchtungen. Es war nicht auszuschließen, dass ihre Entscheidung, Libbys Zeugung zu verhindern, nicht schon die Zukunft verändert hatte. Sollte das der Fall sein, konnte sie auf die Enthüllungen der Monduhr gut verzichten. Nein, die Monduhr wollte sie nicht befragen, jedenfalls nicht jetzt. Widerwillig musste sie sich aber eingestehen, dass sie die Uhr damit nicht aus ihrem Leben verbannen konnte. Es stand immer noch eine Frage offen, die sie früher oder später beantwortet haben wollte. Wie würde die Aufrechnung der Monduhr aussehen, musste sie nur Libby opfern oder würde sie womöglich überhaupt keine Kinder mehr bekommen?
Im Augenblick war diese Frage aber nicht vordringlich. Sie hatte es sowieso nicht verdient, Mutter zu werden, und hätte am liebsten auf die Monduhr eingedroschen, wie auf den Marmorblock, der vor ihr stand.
»Schon mal daran gedacht, ins Baugewerbe zu wechseln?« Billy war an der Tür des Ateliers aufgetaucht, die offen stand, und musste schreien, um sich bei dem Lärm verständlich zu machen.
»Ist schon Mittagspause?«, fragte Holly. Sie war es mittlerweile gewöhnt, ihre Arbeit zu unterbrechen, um die hungrige Meute der Handwerker zu füttern, die letzte Hand an den Wintergarten legten.
»Mittagspause? Eher Feierabend! Es ist halb vier.«
»Das tut mir leid, Billy, ich habe völlig die Zeit vergessen.«
»Das dachten wir uns, aber keine Sorge. Wir haben durchgearbeitet und verkrümeln uns demnächst, wenn Sie nichts dagegen haben. Es ist herrliches Wetter heute, vielleicht das letzte Mal dieses Jahr. Sie sollten auch gelegentlich an die Sonne gehen.«
»Also, wenn Sie nicht wochenlang verschwunden
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