Das Geheimnis der Moorleiche
Schlüssel nicht älter als 30 Jahre.«
»Das heißt, die Moorleiche ist
höchstens seit 30 Jahren tot«, folgerte Tim und starrte auf den Fund. Den
Schlüssel der Moorleiche. Vielleicht ihr Haustürschlüssel... Plötzlich nahm die
Tatsache, dass die Moorleiche vor gar nicht allzu langer Zeit ein lebender
Mensch gewesen war, erschreckend reale Gestalt an.
Klößchen erschauderte.
Gaby knuffte Karl aufmunternd
in die Schulter. Die Enttäuschung darüber, dass die Moorleiche nicht, wie
erhofft, 2000 Jahre oder sogar älter war, stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Und was nun?«, fragte Tim.
Glockner nahm den Schlüssel
wieder zurück. »Wir haben nur diesen einen Anhaltspunkt. Jemand ist vor
höchstens 30 Jahren hier im Moor versunken. Unter welchen Umständen wissen wir
nicht. Ob es ein Unfall war oder Fremdverschulden, können wir nicht sagen.
Sogar einen Mord können wir nicht ausschließen. Doch vermutlich wussten die
Angehörigen des Toten nicht, wo er die ganze Zeit gelegen hatte. Sonst hätte
man die Leiche ja geborgen.« Glockner sah in die Runde. »Deshalb sind wir die
Vermisstenfälle der letzten 30 Jahre aus dieser Region durchgegangen.«
Den vier Freunden verschlug es
fast den Atem. Es wurde immer spannender.
»Und?«, japste Gaby.
Glockner nickte. »Und
tatsächlich: Einer der Vermisstenfälle kommt infrage.«
»Wer ist es? Beziehungsweise —
wer war es?« Klößchen hielt es kaum auf seinem Stuhl.
Glockner wiegelte ab. »Noch ist
es ja nur eine Möglichkeit. Solange die Moorleiche nicht wiederauftaucht,
können wir nicht weiterermitteln.«
»Bitte, Papa, bitte«, flehte
Gaby ihn an.
Glockner seufzte. Dann zog er
eine Akte aus seiner Tasche und legte sie auf den Tisch.
Die Akte zeigte das Foto eines
jungen Mannes. Tim erinnerte er spontan an jemanden. Doch es war nur so ein
Gefühl, flüchtig, und nicht zu benennen. Wie ein Déjà-vu.
»Das ist Michael Schustmann«,
erklärte Kommissar Glockner. »Er wurde vor 20 Jahren als vermisst gemeldet und
ist nie wieder aufgetaucht. Bei seinem Verschwinden war er 18 Jahre alt. Er
wohnte in der Siedlung, gleich hinterm Moor.«
»Seental«, ergänzte Tim. Gerade
heute erst waren sie mit dem Fahrrad durch die Siedlung gefahren, als sie den
Professor verfolgten.
Gaby sah das Foto entsetzt an.
»Und den haben wir gefunden?«
Glockner beruhigte seine
Tochter. »Es ist nur ein Vermisstenfall, der passt. Mehr nicht. Ich wollte euch
das Bild eigentlich gar nicht zeigen.« Glockner packte die Akte schnell wieder
in seine Tasche.
»Wissen die Angehörigen es
schon?«, fragte Tim.
Glockner schüttelte den Kopf.
»Nur ein DNA-Vergleich, also ein Vergleich des menschlichen Erbguts der
Moorleiche und eines engen Verwandten von Michael Schustmann, könnte belegen,
dass es sich hier wirklich um den Vermissten handelt. Solange wir die
Moorleiche nicht haben, können wir diesen Test nicht machen. Die Familie
vermisst den Sohn seit 20 Jahren. Die haben vielleicht gerade ihren Frieden
gemacht mit der Sache. Solange ich ihnen keine Gewissheit bieten kann, will ich
da keine schlafenden Hunde wecken. Versteht ihr?«
Die vier von TKKG nickten
betroffen.
»Unser ganzes Augenmerk liegt
jetzt auf der Suche nach der Moorleiche und dem Unbekannten aus dem Moor. Ihr
wisst ja, dass morgen das Phantombild in der Zeitung erscheint.« Glockner stand
auf. Er hatte sich noch einige Akten mit nach Hause genommen, und es würde auch
heute wieder spät werden. »Und wie gesagt: Das alles muss unter uns bleiben.«
Er nickte den Freunden zu und zog sich zurück.
Als Tim und Klößchen durch die
anbrechende Dunkelheit zurück ins Internat fuhren, schwiegen sie beide und
hingen ihren Gedanken nach. In dieser Nacht schlief Tim schlecht. In seinen wirren
Träumen tauchten das Phantombild auf, der verrostete Schlüssel und Professor
Graber. Mit dem Gefühl, ohnmächtig gegen einen Sog in die Tiefe anzukämpfen,
wachte er schließlich schweißgebadet auf.
Am nächsten Morgen war das
Phantombild in allen Zeitungen zu sehen. Tim brachte einige Exemplare vom
Waldlauf mit und überflog schnell die neuesten Nachrichten zu dem Fall. Einer
der Artikel beharrte weiter auf der Annahme, der gesuchte Unbekannte hätte
einen germanischen König gefunden und sei dann geflohen. Ein anderer Artikel
erwähnte die Möglichkeit, der Gesuchte könnte ein gefährlicher Mörder sein.
Doch das war alles nur Spekulation.
Tim hoffte inständig, jemand
würde das Gesicht auf dem Phantombild erkennen
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