Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
als er sich dort anpirschte.
Gerlin von Lauenstein zog sich in den Wagen zurück - während sich ihre Zofe oder was auch immer sie darstellte, um Dietmar kümmerte. Der Sommerabend war lau, sie konnte das Kind entkleiden, im Bach waschen und hüllte es dann in ein sauberes, fein besticktes Hemd. Darunter trug es allerdings wirklich noch Windeln. Odemar wurde übel. Das Kind allein konnte er nicht transportieren, es musste eine Frau dabei sein, die es versorgte.
Aber warum nahm er nicht gleich diese? Spätestens der Anblick von Miriams Gesicht - sie hatte ihren Schleier für einen Moment zurückgeschlagen, als sie Dietmar wusch und wickelte - überzeugte ihn davon, dass dieses Mädchen eine bedeutend angenehmere Reisebegleitung wäre als Gerlin. Wenn er es richtig überlegte, war es auch gar nicht nötig, Dietmars Mutter zu entführen! Die würde ihm sowieso folgen, sobald sie nur den Verdacht hegte, das Kind befände sich in Lauenstein. Und Letzteres ließ sich leicht einrichten - ein kleines Schreiben mit freundlichen Grüßen von Roland, und Gerlin würde nur so darauf brennen, in die Mauern ihrer Burg zurückzukehren! Odemar war äußerst stolz auf diesen komplizierten Gedankengang. Das war Raffinesse, das war Strategie! Und nun brauchte er nur noch zuzuschlagen!
Das Mädchen saß am Ufer des Baches und wiegte das Kind.
Gerlin bemühte sich nach Kräften, sich in die höfische Schönheit zu verwandeln, die Eleonore von Aquitanien unzweifelhaft zu sehen hoffte. Es tröstete sie etwas, dass die Herrin Aliénor bei Richard war und ihrer Audienz bei ihm beiwohnen würde. Sicher konnte sie dazu beitragen, den König milder zu stimmen. Aber auch Richard war aufgeschlossen für weibliche Schönheit. Gerlin wusch sich also gründlich und rieb sich die Wangen, um etwas Farbe in ihr nach dem langen Ritt sicher bleiches Gesicht zu bringen. Sie bürstete ihr Haar ausgiebig und machte sich dann daran, es zu flechten und hochzustecken. Ohne Hilfe war das schwierig, aber Miriam war, was das betraf, nicht sehr geschickt, und wurde außerdem gebraucht, um auch Dietmar in einen vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Gerlin kämpfte also allein mit ihrer Haarpracht und ließ dabei die Kleider vor ihrem inneren Auge Revue passieren, die ihr der französische König geschickt hatte. Zum Teil waren sie sehr schön, sie dachte an ein weit ausgeschnittenes aquamarinblaues Überkleid mit schwarzen Applikationen. Das war auch passend - farblich ansprechend und doch an ihren Stand als Witwe mahnend.
Gerlin hatte sich eben in ein seidenes dunkelblaues Hemd gehüllt, als draußen Schreie und Schwerterklirren laut wurden. Erschrocken, aber nicht allzu alarmiert, hob sie die Plane des Wagens. Wahrscheinlich ein paar heißblütige Ritter, die sich um die Gunst eines Freudenmädchens schlugen. Dann jedoch sah sie, wie ein schwer gerüsteter Ritter mit Abram focht, der nur Kittel und Beinlinge trug - für einen Kampf in keiner Weise ausgestattet. Miriam versuchte, sich hinter dem Ritter auf die Beine zu kämpfen. Der Mann schien sie niedergeschlagen zu haben. Sie tastete eben nach Dietmar, der ebenfalls auf dem Boden lag und durchdringend schrie.
Gerlin wollte sich einmischen, aber der Ritter drohte mit dem Schwert in ihre Richtung, und auch Abram schüttelte den Kopf, während er die Schläge des Angreifers verzweifelt abwehrte. »Lauf weg, Gerlin! Hol Hilfe! Rüdiger oder irgendeinen anderen Ritter! Schnell!«
Gerlin verspürte den dringenden Wunsch, zumindest einen Versuch zur Rettung ihres Sohnes zu unternehmen. Aber Abram hatte natürlich Recht. Sie konnte hier nichts tun, und wahrscheinlich war Dietmar auch nicht wirklich in Gefahr. Der Mann wollte offensichtlich Miriam ...
Gerlin warf sich ihr Kleid über und rannte zu den Wagen der Marketenderinnen. Sie schrie die wartenden Männer an, hatte allerdings Pech. Hier fand sich kein Ritter, der sich dem Frauendienst verpflichtet fühlte, nur bereits leicht berauschte Kriegsknechte und Söldner. Über Gerlins Hilferufe lachten sie nur - und auch ihre verzweifelte Frage nach Rüdiger verhallte ungehört. Gerlin betete, dass ihr Bruder nicht gerade in den Armen eines der leichten Mädchen lag, aber dann erkannte sie ihn am anderen Ende der Lichtung, wo sich ebenfalls zwei Männer schlugen. Hier ging es allerdings nicht um Leben und Tod, sondern eher um ein Spiel: Einer der Gaukler hatte die Krieger zum Ringkampf herausgefordert. Er stellte sich ihnen gegen ein geringes Entgelt und bot einen
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