Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
sich nicht so weit von seiner Burg weg, die könnte ja inzwischen irgendein Dritter erobern. Hier, hilf mir mal, Gerlin! Und zieh das Leinen fest an, der Verband muss stützen, sonst kann ich nicht reiten.«
Gerlin half Abram mit steifen Fingern. An sich war sie geschickt in diesen Dingen, aber jetzt konnte sie weder denken noch handeln. Es war zu viel, es war einfach zu viel. Sie sah Dietmars hübsches, unschuldiges Gesichtchen vor sich und Rolands böses Lächeln, bevor er das Visier herabzog, um gegen Dietrich in den Kampf auf Leben und Tod zu reiten.
»Wenn er ihn tötet ...«
»Gerlin, er tötet ihn nicht!« Abram stöhnte auf, als Gerlin die Bandage um seinen Körper festzog. »Wenn er ihn umbringen wollte, hätte er keine Kinderfrau für ihn mitgenommen. Außerdem brauchte er ihn dafür nicht zu entführen, das hätte sich auch hier erledigen lassen. Ganz unauffällig nebenbei - eine Frau wiegt ein Kind am Fluss, ein betrunkener Soldat will die Frau, schleudert das Kind beiseite, es trifft mit dem Kopf auf einen Felsen ... Wer sollte da einen Roland von Ornemünde beschuldigen, der hunderte von Meilen entfernt eine Burg bewacht?«
»Und jetzt soll der Kerl nach Lauenstein wollen?«, fragte Rüdiger. »Mit einer Frau und einem Kind vor sich im Sattel?«
Hansi untersuchte immer noch die Spuren. Er wäre dem Räuber gern gleich nachgesetzt. Aber dann kramte er doch erst mal in seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz als Kind eines Wegelagerers.
»Mit Frauen, die nicht wollen, kann man nicht weit reiten«, erklärte er wichtig. »Mein Vater hat deshalb nie welche erbeutet, und wenn doch, dann ist er damit gleich in den nächsten Ort und hat gesehen, dass er sie beim Hurenwirt losschlägt ...«
Abram konnte inzwischen wieder nachdenken. »Die Überlegung ist gar nicht falsch«, sagte er bedächtig. »Natürlich wird sich Miri nicht lange wehren, zumal wenn er ihr droht, Dietmar etwas zu tun. Sie wird brav mit ihm reiten, allenfalls wird er ihr Pferd führen. Aber ein Pferd für sie braucht er, sein Streithengst trägt auf Dauer keine drei Leute, und das fiele auch auf.«
»Pferde kann man hier an jeder Ecke stehlen«, meinte Rüdiger und wies auf das Feldlager um sie herum.
»Aber nur Streithengste und Wagenpferde - keinen Zelter«, gab Abram zu bedenken. »Und den braucht er, sonst ist Miriam nach einem Tag im Sattel wund. Also muss er in den nächsten Ort.«
»Oder den übernächsten«, flüsterte Gerlin. »Pferde verkaufen sie überall. Wir ... wir werden ihn nie finden ...«
Rüdiger schüttelte den Kopf. Abrams Überlegungen hatten ihn neue Hoffnung schöpfen lassen. »So viele Orte gibt's hier gar nicht, und die meisten davon sind zudem umkämpft. Da wird jeder Neuankömmling mit Argwohn betrachtet. Eigentlich gibt es hier überhaupt nur eine Stadt, deren Tore heute weit offen stehen.«
Hansi nickte altklug. »Wenn mein Vater sich verstecken musste, sind wir immer in einen Ort gegangen, in dem Jahrmarkt war«, bemerkte er. »Und heute feiern sie in Fréteval!«
Kapitel 9
W o ist denn nun die minnigliche Dame, der angeblich mal mein Herz gehörte?«, erkundigte sich Richard Löwenherz gut gelaunt.
Florís war eben vor ihm erschienen. Er hatte sich noch die Zeit genommen, sich etwas zu waschen, sein lockiges blondes Haar zu bürsten und eine saubere Tunika überzustreifen. Der Blick des Königs und mehr noch der seiner Mutter Eleonore ruhte wohlgefällig auf dem jungen Ritter, und der Mundschenk kredenzte Wein. Nach einem Tribunal sah das nicht aus, Gerlin brauchte sich kaum zu fürchten. Aber der König hatte Recht - sie sollte längst da sein. Florís wunderte sich, war allerdings nicht sehr beunruhigt. Rüdiger von Falkenberg hatte ihm versprochen, seine Schwester zum Zelt des Königs zu eskortieren, passiert konnte ihr also nichts sein. Vielleicht brauchten die Reiter einfach länger, das feiernde Heerlager zu durchqueren. Inzwischen brannten überall Feuer, und Ochsen und Hammel brieten am Spieß. Die Festung von Fréteval hatte ihre Tore geöffnet, und weder Adel noch Kaufmannschaft ließ sich lumpen. Das Heer ihres geliebten Königs Richard wurde freigebig mit Schlachtvieh, Bier und Wein versorgt.
»Frau Gerlin wird schon kommen«, vertröstete Florís denn auch seinen König. »Aber sicher will sie sich für Euch schön machen. Sie ... ist ein bisschen besorgt.«
Richard lachte. »Das kann sie auch sein! Wie's aussieht hat sie ein Spiel mit zwei Königen getrieben - Ihr habt Eure Mädchen
Weitere Kostenlose Bücher