Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
natürlich aufgesteckt und teilweise unter einem Kopfschmuck versteckt, aber ein paar Strähnen hatten sich gelöst und umspielten anmutig ihr filigranes Gesicht.
Gerlin wusste nicht genau, wann Dietrichs Vater gestorben war, aber Frau Luitgart hatte das Trauergewand jedenfalls schon abgelegt. Sie trug ein dunkelgrünes Kleid mit sehr langen, weiten Ärmeln, das ihre hohen Brüste betonte und der neuesten Mode entsprach. Ein breiter Gürtel, besetzt mit Edelsteinen, unterstrich ihre schmale Taille. Gerlin bemerkte mit einem Blick, dass die Kemenate mit den erlesensten und kostbarsten Wandbehängen und Teppichen ausgestattet war. Ihre eigene Kemenate wirkte dagegen fast ärmlich. Der Ärger darüber ließ sie aus ihrer Starre erwachen.
»Frau Luitgart. Verwandte!« Gerlin trat entschlossen auf ihre künftige Stiefschwiegermutter zu und begrüßte sie mit schwesterlichem Kuss. Luitgart war das erkennbar unangenehm.
»Die edle Gerlindis von Falkenberg«, bemerkte Luitgart steif. »Ich wüsste nicht, dass wir miteinander verwandt wären, aber ich heiße Euch dennoch auf der Burg meines Gatten willkommen.«
»Eures verstorbenen Gatten«, berichtigte Gerlin. »Erlaubt, dass ich Euch meines aufrichtigen Beileids versichere. Ich hörte, dass Ihr sein Lehen seitdem trefflich verwaltet - im Interesse seines Erben Dietrich, meines versprochenen Eheherrn.«
Luitgart verzog das Gesicht. »Wobei ich mich allerdings frage, wer Euch ihm anverlobt hat. Soweit ich weiß, weilt sein Vormund, Graf Linhardt von Ornemünde zu Loches, zurzeit auf einem Kreuzzug im Heiligen Land.«
Gerlin lächelte. »Oh, diese Formsachen müssen die Ritter unter sich aushandeln!«, sagte sie leichthin. »Ich folgte nur der Weisung meines Vaters, mich den Brautwerbern Eures Stiefsohns anzuvertrauen, und sie haben mich zuverlässig geleitet. Nun freue ich mich auf den Anblick meines künftigen Gatten, dem ich jetzt schon in Liebe zugetan bin. Er wird ja nun auch in kurzer Zeit seine Schwertleite feiern und seine Angelegenheiten dann selbst verwalten. Wie gesagt, er kann Euch nicht genug dafür danken, dass Ihr ihm bis dahin behilflich seid.«
Luitgart biss sich auf die Lippen. Sie schien sich jetzt endlich an ihre Pflichten als Gastgeberin zu erinnern und füllte zwei Becher mit Wein, den die Magd eben hereinbrachte. »Du kannst dann gehen, Annerl«, wandte sie sich an das Mädchen.
Gerlin nahm den Begrüßungsschluck dankbar entgegen, sie konnte die Stärkung durchaus brauchen. Mit so direkten Anfeindungen der Burgherrin hatte sie nicht gerechnet. Luitgart schien sich in ihrer Stellung stärker zu fühlen, als Herr Salomon und Florís ihr vermittelt hatten.
»So setzt Euch doch, Fräulein Gerlin«, forderte sie ihre Besucherin schließlich auf.
Gerlin nahm auf einem der hohen Sessel Platz, Luitgart ihr gegenüber.
»Ich hoffe, Ihr werdet nicht enttäuscht sein, aber was die baldige Entlassung des jungen Herrn Dietrich aus der Munt seines Onkels angeht, so ist dies noch keineswegs spruchreif. Bis Linhardt von Loches aus dem Heiligen Land zurückkehrt.«
Gerlin runzelte gespielt verwundert die Stirn. »Pflegen die Ornemünder den Brauch, einen Knappen von seinem Vormund zum Ritter schlagen zu lassen? Das ist ungewöhnlich, üblicherweise übernimmt das doch der Burgherr oder sein Marschall. Und in einem Fall wie dem des Herrn Dietrich, bei dem ein Lehen verwaist ist, kann man erst recht eine Ausnahme machen.«
»Sofern der Knappe den Anforderungen an den Ritterstand entspricht!«, sagte Luitgart scharf. »Und Herr Dietrich ...«
»Herr Dietrich wurde mir als junger Mann voll der ritterlichen Tugenden geschildert«, meinte Gerlin.
»Die ritterlichen Tugenden sind nicht alles, edle Gerlin. Es gilt auch, ein Schwert zu schwingen und eine Lanze zu führen. Herr Dietrich war stets ein schwächliches Kind - es hat seinen Grund, dass sein Vater selbst im fortgeschrittenen Alter noch eine junge Gattin nahm - er hoffte auf weitere kräftigere Erben. Die Pflichten eines Ritters erfordern nun einmal mehr als Glaube, Ehre und Treue.«
Gerlin nickte. »Zweifellos. Aber Ihr wollt doch nicht sagen, Herr Dietrich wäre nicht fähig, ein Pferd zu lenken. Und ich sehe dieses Lehen auch nicht von mächtigen Feinden bedroht - zumal Ihr selbst sagt, Euer Gatte sei in fortgeschrittenem Alter gewesen. Da hätte er die Verteidigung der Burg doch wohl auch seinen Rittern überlassen. Und was dies angeht, so bin ich guten Mutes. Ich denke, Herr Florís und die anderen
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