Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
»Und die wird ihrem Sohn kaum gedungene Mörder auf den Hals schicken, während er ein paar Waffengänge absolviert. Davon abgesehen hat Herr Salomon Recht: Es spricht eher für einen König oder Burgherrn, wenn er bei seinem eigenen Turnier nicht in die Schranken reitet. Es ist ja sonst immer eine unglückliche Situation: Gewinnt er, so heißt es, das Turnier sei manipuliert worden. Gewinnt er nicht, gibt er sich eine Blöße auf eigenem Platz.«
Herr Salomon lauschte ihren Ausführungen gebannt. »Ihr scheint Euch auszukennen«, bemerkte er. »Und Ihr hattet ja auch die allerbeste Lehrmeisterin. Also, Fräulein Gerlin, denkt nach! Wie hätte Eleonore von Aquitanien die Sache gehandhabt? Lasst uns an Eurer Erziehung zur ›Macht der Frau Venus hinter dem Thron‹ teilhaben!«
Gerlin überlegte, während sie eine Traube aß. »Vielleicht kann sich Herr Dietrich in einem Schaukampf beweisen, der unentschieden endet!«, sagte sie dann. »Er weiß das Schwert durchaus zu führen. Wobei man ruhig sehen darf, dass der Gegner nicht mit voller Wucht gegen ihn vorgeht. Es muss ja kein Knappe sein, sondern eher ein verdienter Ritter wie Ihr, Herr Florís.«
Florís de Trillon strahlte. »Genau das ist es, Fräulein Gerlin! Eine hervorragende Lösung!«
Auch Salomon nickte anerkennend, und Gerlin freute sich wieder einmal an der Wärme in seinen grünbraunen Augen und dem Lachen, das sein sonst oft so strenges Gesicht in unzählige Falten legte. »Respekt, Fräulein Gerlin, Ihr seid Eurem künftigen Gatten in Sachen Diplomatie durchaus ebenbürtig! Lauenstein wird aufblühen unter Eurer Herrschaft! Lasst es uns so machen, Herr Florís! Wobei sich nur fragt, wie wir es Dietrich erklären. Der schreibt zurzeit nämlich nur noch Gedichte über Ritter, die sich mit dem Zeichen ihrer Minneherrin in die aussichtslosesten Kämpfe stürzen ... Sicher wird er zu Tode enttäuscht sein.«
Gerlin lächelte. »Das überlasst nur getrost seiner Minneherrin«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Die Herrin Guinevere ließ Herrn Lancelot noch ganz andere Frösche schlucken ...«
Etwa einen Monat vor der Schwertleite verkündete Florís den Knappen vor der morgendlichen Übungsstunde das Programm für das Turnier. Von einem leichten Feixen des Herrn Theobald und seiner Freunde einmal abgesehen nahmen alle es freundlich und wie selbstverständlich auf, dass Dietrich sich am Wettstreit nicht beteiligen würde, nur an einem Schaukampf. So manchen der ärmeren Knappen - viele von ihnen waren jüngere Söhne aus weniger wichtigen Familien, denen ein Leben als Fahrender Ritter bevorstand - mochte es sogar Freude und Erleichterung sein. Jeder Gegner weniger vergrößerte ihre Chance auf eine gute Platzierung, eine Belohnung von Frau Luitgart oder Gerlin und damit einen besseren Einstieg in ihr aufregendes, aber hartes Erwachsenenleben.
Dietrich selbst verbeugte sich gelassen und schenkte Florís dabei ein warmes Lächeln. »Ich freue mich besonders, weil mir dabei auch ein paar Hiebe von Euch vergönnt sein werden, wenn Ihr es schon nicht sein werdet, der mich zum Ritter schlägt! Schont mich nur nicht, es wird mir eine Freude sein, gegen Euch zu unterliegen.«
Dieses Mal jedoch war es Roland, der den Spieß der Gegenseite umdrehte. Am Abend jenes Tages lud er wieder einmal alle Ritter, Knappen und Frauen der Burg zum Bankett, und Gerlin schwante nichts Gutes, als er anschließend aufstand und sich an die Versammlung wandte.
»Ich hörte heute davon, dass mein geliebter Neffe, Dietrich von Ornemünde, dem Turnier am Tag seiner Schwertleite nur vorstehen wird, statt sich mit den anderen Rittern seines Jahrgangs zu messen. Zu dieser Entscheidung aus Demut und Maße heraus kann ich ihn nur beglückwünschen, ich weiß, wie schwer es einem jungen Ritter fällt, auf den Wettkampf zu verzichten. Und um Herrn Dietrich meine größte Hochachtung zu erweisen, biete ich mich ihm selbst als Gegner in dem Schaukampf an, in dem er sich stattdessen als Ritter präsentieren will. Herr Dietrich verdient einen ebenbürtigen Gegner von gleichem Rang und von gleichem edlem Blut!«
In Gerlins Gesicht stand bei dieser Ankündigung blankes Entsetzen, sie schaffte es nicht sofort, sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Florís, der links neben ihr saß, ballte die Fäuste. Schmähte Roland mit seiner Rede doch auch seinen eigenen Rang und setzte die Familie Trillon herab! Gerlin hoffte, dass er den Ritter daraufhin nicht gleich fordern würde.
»Untersteht Euch,
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