Das Geheimnis Der Pilgerin: Historischer Roman
auf Rüdiger, der dem Gespräch schweigend gefolgt war.
Ritterliche Tugenden ... Der junge Knappe fasste in dieser Nacht einen Entschluss, der seiner Schwester in den nächsten Wochen großes Kopfzerbrechen bereitete.
Kapitel 8
I ch weiß nicht, was mit Rüdiger los ist ...« Gerlin klagte Florís ihr Leid, als die beiden, wenige Tage vor der Schwertleite, den Knappen bei ihren Wehrübungen zusahen.
Rüdiger war eben gegen Dietrich angeritten und hatte ihn gleich beim ersten Versuch schonungslos vom Pferd getjostet. Jetzt schlug er ebenso ernsthaft mit dem Holzschwert auf ihn ein. Es stand völlig außer Frage, wer diesen Schlagabtausch gewinnen würde.
Florís schüttelte den Kopf. »Es ist ganz in Ordnung, dass die Knappen Dietrich ernsthaft angehen. Ich habe sie ausdrücklich dazu angehalten - wenngleich nach langer Überlegung. Es ist mir schon klar, dass wir Dietrichs Selbstvertrauen beeinträchtigen, bislang hielt er sich für stärker, als er wirklich ist. Aber besser, er lernt jetzt, damit umzugehen, als dass er sich vor Roland die Blöße gibt. Er ...«
»Es geht nicht um Dietrich, es geht um Rüdiger!«, unterbrach ihn Gerlin. »Er hat sich verändert, vollständig. Bislang dachte ich, er sei Dietrichs Freund. Er gehörte zu seinem Kreis, sie beschäftigten sich miteinander - da war keine Rivalität. Aber jetzt: Seit Neuestem gesellt sich Rüdiger immer öfter zu den Jungen um Herrn Theobald. Er macht ihre derben Späße mit. Er beteiligt sich an den Waffenübungen mit Herrn Roland. Mit Dietrich wechselt er kaum noch ein Wort, und mich scheint er auch zu meiden. Ich mache mir Sorgen um ihn.«
Florís zuckte die Schultern. »Um ehrlich zu sein, kann ich mir darüber nicht auch noch Gedanken machen«, bemerkte er. »Wahrscheinlich ist es ohnehin nur eine Laune. Auf jeden Fall können wir uns darum kümmern, wenn die Schwertleite gefeiert ist - sofern Dietrich sie überlebt. Dann wird Theobald von Thurgau sowieso heimkehren. Denn in einem hat er Recht: Er ist wirklich von edlem Blut, und ihn erwartet ein großes Lehen. Rüdiger ist ebenfalls ein Erbe.«
»Und wenn die beiden auf die Idee kommen, erst mal als Fahrende Ritter durch die Welt zu ziehen?«, fragte Gerlin verzweifelt.
Florís seufzte. »Dann können wir sie daran auch nicht hindern. Aber das traue ich Rüdiger eher zu als Theobald. Der ist ein boshafter Schläger, aber nicht wirklich tapfer. Wenn es tatsächlich hart auf hart kommt, verkriecht er sich auf der Burg seines Vaters, um dort Fahrende Ritter zu terrorisieren und Bauern zu schinden. Für Euren Bruder geht von ihm auf Dauer keine Gefahr aus. Und Roland von Ornemünde wird sich auch irgendwann verziehen - wenn er zu Erntedank nicht ganz unverhofft und durch tragische Umstände ein Lehen erwirbt. Um das zu verhindern, muss ich jetzt meine Arbeit tun. Es tut mir leid, Fräulein Gerlin, wenn ich es zurzeit an höfischer Rede und Aufmerksamkeit missen lasse ...«
Gerlin nickte versonnen, während der Ritter jetzt in den Kampf der Knappen eingriff und Dietrich Verhaltensanweisungen gab. Der Junge griff das Schwert daraufhin geringfügig anders und wehrte Rüdigers Schläge geschickter ab. Aber Gerlin machte sich keine Illusionen. Den anderen Knappen mochte die neue Technik verwirren - Roland von Ornemünde dagegen würde sie lächelnd unterlaufen. Im Grunde konnte nur ein Wunder Dietrich retten - oder ein Akt der Feigheit, der eines Ritters unwürdig wäre. Dietrich würde sich nie so weit erniedrigen.
Gerlin bereitete sich auf seinen Tod vor.
Rüdiger von Falkenberg holte tief Luft, bevor er sich den Rittern näherte, die vor dem Stall standen und die Eignung eines Streithengstes diskutierten. Leon von Gingst und Roland von Ornemünde redeten sich die Köpfe darüber heiß, ob Herr Roland das Tier beim Schaukampf mit Dietrich erproben sollte oder doch lieber mit einem älteren, bewährten Pferd in die Schranken ritt. Die Schwertleite sollte am übernächsten Tag stattfinden. Rüdiger zögerte. Ob er warten sollte, bis Herr Roland allein war? Aber nein, es brachte nichts, die Sache aufzuschieben.
Rüdiger räusperte sich, bevor er sich vor Roland verbeugte. »Darf ich ein paar Worte mit Euch reden, Herr Roland?«, fragte er ehrerbietig. »Ich trage eine Last auf dem Herzen ...«
»Und die müsst Ihr bei mir abladen, Herr Rüdiger?«, fragte der Ritter lachend. »Oder eher bei Eurem alten Waffenmeister? Herr Leon hat Euch doch auf Falkenberg betreut, nicht wahr?«
Rüdiger nickte.
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