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Das Geheimnis der Puppe

Das Geheimnis der Puppe

Titel: Das Geheimnis der Puppe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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süßen Tessa. Und ich fühle mich innerlich wie zerrissen. Vielleicht ist es ja nur das zweite Kind, was mich daran hindert, eine Stoffpuppe so einfach beiseite zu legen. Mit einem Säugling im Haus wird man sensibler gegenüber der Grausamkeit, die anderen Kindern widerfuhr. Als die Frau die nächste Nahrung brachte, hielt das Kind die Puppe immer noch, legte sie auch nicht zur Seite, um zu trinken.
    Und so ging es im gewohnten Rhythmus weiter. Tagsüber horchte es auf die Geräusche, die von außen zu ihm hereindrangen. Dreimal insgesamt schaute es voller Erwartung zum Eingang, wenn sich dort die leichten Schritte näherten. Es aß und trank, wurde gesäubert. Und wenn die stille Zeit kam, wartete das Kind darauf, daß die Frau es holte, um es mit sich in den anderen Raum zu nehmen. Kam sie nicht, drückte es sein Gesicht auf den weichen Balg der Puppe und schlief ein. So verging das zweite Jahr. Dann gab es wieder eine Veränderung. Zur Zeit der zweiten Nahrung näherten sich die leichten und die eiligen Schritte gleichzeitig dem Eingang. Die warme und die weiche Stimme sprachen miteinander. Das Kind verstand die Worte nicht, und es maß ihnen keine Bedeutung bei. Der Eingang wurde geöffnet, verdunkelte sich gleich wieder. Die warme Stimme sagte:
    »Jetzt leuchte doch mal. Hier sieht man ja die Hand nicht vor Augen.«
    Und ein festes Licht tastete sich in den Winkel, in dem das Kind sich zusammengekauert hatte.

    »Da ist ja unser Püppchen«, sagte die warme Stimme. Sie hatte einen sanften Klang angenommen, der das Kind ein wenig beruhigte. Aber noch schaute es ängstlich zu dem großen Schatten auf, der den Eingang versperrte. Der Schatten machte sich kleiner, kam näher.

    »Komm, Püppchen«, sagte die warme Stimme. Zwei Hände griffen nach ihm, hoben es vom Boden auf und verbargen es unter einem dünnen Stoff. Darunter war noch ein Stoff, und das Kind fühlte den weichen Körper der zweiten Frau. Er roch nach Nahrung. Die zweite Frau trug es eilig fort, weit und weiter. Sie brachte es in einen unendlich großen, blendend hellen Raum. Grelles Licht brannte sich in die empfindlichen Augen des Kindes, vor Schmerz kniff es sie fest zusammen.
    »Ja«, sagte die zweite Frau voller Bedauern,  »das tut weh, Püppchen. Aber das vergeht wieder. Und du  brauchst ein bißchen Sonne.«
    Von da an kam die zweite Frau regelmäßig zur Zeit der zweiten Nahrung. Jedesmal barg sie das Kind unter ihrer Schürze, trug es eilig fort und brachte es in den großen, hellen Raum. Den nannte sie  »draußen«  . Nachdem das Kind sich erst einmal daran gewöhnt hatte, war es gerne draußen. Die zweite Frau trug es auf ihrem Arm durch den weiten Raum. Es gab dort viele Dinge in leuchtenden Farben und sanfte Töne. Und ein warmer Atem blies in sein Gesicht. Auch sprach die zweite Frau immer. Die Worte selbst verstand das Kind nicht, doch es lernte, sie zu unterscheiden und ihre Bedeutung zu erkennen.  »Zurück« , das war der dunkle Raum, in dem es selbst lebte. »Komm«, das waren zwei Hände, die unter seine Achseln griffen, es vom Boden aufnahmen. Und als es gelernt hatte, auf seinen eigenen Beinen zu kriechen, war  »komm«  der Weg zum Eingang.  »Durstig«, das war ein Becher mit Saft oder Wasser.  Das war auch eine gefüllte Milchflasche.  »Er«, das war ein vages, dunkles Etwas, das war  Gefahr. »Hunger«  , das war ein Teller mit Gemüsebrei, später dann zwei belegte Brotscheiben auf einem Holzbrett. Nach dem zweiten Jahr begann mit den Brotscheiben immer die Zeit der Schritte. Dann kam draußen und zurück, und danach kam ein Teller mit Gemüsebrei. Und wenn die Zeit der Stille kam, wartete das Kind geduldig auf die leichten Schritte der Frau. Manchmal kam sie, nahm es mit sich in den anderen Raum, hielt es im Arm, bis draußen das graue Licht aufkam. Wenn sie nicht kam, rollte es sich in seiner Ecke zusammen, drückte das Gesicht gegen den weichen Balg der Puppe und schlief ein.
    Dann gab es wieder eine Veränderung. Die zweite Frau brachte das Kind nach draußen. Dort stellte sie es auf seine Füße, hielt es noch einen Moment lang unter den Armen fest. Der Boden, auf dem es stand, war sehr uneben. Es wollte sich auf die Knie herunterlassen. Aber die zweite Frau zog es wieder in die Höhe.
    »Nein, nein« , sagte sie.
    »Du mußt laufen. Du bist doch alt genug.«
    Und sie hielt es unter den Armen, machte ein paar Schritte und schob es dabei vor sich her. Seine Füße schleiften über den unebenen Boden, ehe

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