Das Geheimnis der Puppe
es begriff, daß es sie anheben mußte, um ebensolche Schritte zu machen wie die Frau.
»Ja, das ist schwer«, sagte die zweite Frau.
»Aber wir haben ein bißchen Zeit. Hier sieht uns niemand. Die sind jetzt alle vorne beim Essen.«
Es verstand die Worte nicht, aber sie klangen freundlich. Die zweite Frau schob es vorsichtig zwischen den leuchtenden Dingen umher. Und die ganze Zeit sprach sie, erklärte dem Kind die bunten Dinge. Sie führte das Kind sogar dicht an ein paar kleine Stückchen heran, so daß es sein Gesicht hineindrücken konnte und den feinen Duft roch. Nach vielen Zeiten konnte das Kind ohne den festen Griff ein paar Schritte gehen. Und mit jedem Tag wurden es mehr. Als es sicher auf seinen Beinen geworden war, brachte die zweite Frau es nur noch nach draußen, ging selbst zurück und holte es dann nach einer Weile wieder.
Wenn das Kind ihre Stimme hörte, kam es eilig herbei. Jedesmal verbarg die zweite Frau das Kind so gut es ging unter ihrer großen Schürze. Wenn sie es dann zurückgebracht hatte, reichte sie ihm den Teller mit Nahrung. Manchmal lachte sie leise, sagte:
»Das macht hungrig, wenn man an der frischen Luft herumspringt, nicht wahr.«
Und manchmal blieb sie noch ein wenig neben ihm auf dem Boden, sprach mit ihrer warmen Stimme von Dingen, die es nicht kannte und nicht verstand. Wenn sie dann ging, blieb ihre warme Stimme im Kopf des Kindes zurück, ließ dort bunte Bilder entstehen von draußen, von hellem Licht und sanften Tönen, von dem großen Gefäß, das weit, weit hinten lag, in dem das Kind sein eigenes Gesicht gesehen hatte. So verging das dritte Jahr. Und dann gab es wieder eine Veränderung. Im Herbst vor zwei Jahren traf ich auf der Buchmesse in Frankfurt mit Wolfgang Groner zusammen. Wolfgang ist Agent, Literaturagent, genauer gesagt. Wir kamen ins Gespräch, und ich erwähnte beiläufig, daß da seit mehr als einem Jahr ein abgeschlossenes Manuskript lag: Das Haus auf dem Hügel. Und daß ich nicht wußte, welchem Verlag ich es anbieten könnte. Wolfgang erklärte sich bereit, einen Blick hineinzuwerfen, für mich ganz unverbindlich. Eine gute Woche später rief er mich an. Er hatte den Roman nicht nur gelesen, er hatte sogar schon einen Interessenten dafür.
»Ein Wahnsinnsstoff. Damit kommen Sie ganz groß rau.«, prophezeite er mir. Er behielt recht. Es ging in einem Riesensatz aufwärts. Uns ging es gut, in jeder Hinsicht sogar sehr gut. Wir waren gesund, wir waren zufrieden. Wir liebten uns, liebten Danny, unsere Eltern und Schwiegereltern. Laura hatte es sogar geschafft, das immer ein wenig zwiespältige Verhältnis zu ihrer Mutter aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Auch finanziell war alles in bester Ordnung. Wir waren der Meinung, daß sich mit dem sanften Grauen noch eine Menge Geld verdienen ließ, ebenso mit den flotten Sprüchen zum Thema Buttermilch oder Haarshampoo. Mit ihren manchmal kurios anmutenden Einfällen hatte Laura Karriere gemacht. Sie war erfolgreich und verdiente doppelt soviel wie ich. Darüber wurde niemals ein Wort verloren. Vor gut einem Jahr setzte Laura dann das zweite Kind auf ihren Terminplan. Sie arbeitete nur noch vormittags in der Agentur. Das hatte sie mit viel Überredungskunst durchsetzen können. Nachmittags machte sie daheim weiter. Abends fuhr sie dann oft noch einmal zu Weber und Wirtz, um an Besprechungen oder dergleichen teilzunehmen. Lauras Arbeitsplatz war der Küchentisch. Mein Schreibtisch stand seit Dannys Geburt in einer Ecke des ohnehin kleinen Wohnzimmers. Und Danny betrachtete unsere gesamten sechzig Quadratmeter als sein Revier. Ein Dauerzustand war das nicht. Ich brachte es auf drei Stunden konzentrierter Arbeit am Vormittag. Genau die Zeit, die Danny im Kindergarten verbrachte. Und manchmal war ich einfach nicht in der richtigen Stimmung, diese Zeit zu nutzen. Der hereindringende Straßenlärm verschaffte mir Visionen von wilden Verfolgungsjagden, die brauchte ich nicht. Seit dem Vertrag mit Wolfgang Groner fühlte ich mich relativ sicher. Er war in jeder Beziehung der richtige Partner für mich, hatte genau die Verbindungen in der Branche, die man haben sollte, verfügte über eine kolossale Überzeugungskraft und einen untrüglichen Instinkt. Heftchenromane schrieb ich längst nicht mehr. Nach Haus auf dem Hügel hatte ich noch ein paar Taschenbücher geschrieben und dann auf Wolfgangs Drängen hin einen weiteren großen Roman begonnen. Aber bei den beengten Verhältnissen in unserer Wohnung
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