Das Geheimnis der Puppe
verunglückt. Das sind fast siebenundzwanzig Jahre. Nach so langer Zeit war nichts mehr da, was er sich hätte holen können.«
Bert schwieg für eine Sekunde, warf mir einen auffordernden Blick zu. Offensichtlich war ihm daran gelegen, daß ich mich am Gespräch beteiligte. Aber mir war absolut nicht danach. Grenzwissenschaft, Fachmann auf einem Spezialgebiet. Ich hatte schon von Professor Bender gehört, auch eine Menge darüber gelesen. Lehrstuhl für Parapsychologie an der Universität Freiburg. Bender und sein Team traten immer dann in Aktion, wenn es irgendwo nicht mit rechten Dingen zuging, leger ausgedrückt.
»Gehen wir mal davon aus«, begann Bert nach seinem auffordernden Blick, »daß sie das Kind hier irgendwo begraben hatten, vielleicht im Garten. Ohne Sarg, vermute ich. Hast du eine Vorstellung, wie schnell eine Leiche in Verwesung übergeht? Nach ein paar Monaten ist nur noch das Skelett da.«
Und Bert hielt uns einen Vortrag über Mikroben, Zersetzungsprozesse, Zerfallsdauer von Röhrenknochen. Es klang alles sehr amtlich und sogar ein wenig wissenschaftlich. Dann schüttelte er den Kopf, warf Laura ein aufmunterndes Lächeln zu.
»Ich sag dir was, Liebling. Frau Greewald hat dir einen riesengroßen Bären aufgebunden. Der Himmel allein weiß, was sie gesehen hat. Am Ende war da gar nichts. Man muß auch berücksichtigen, daß die Frau sich dem Kind gegenüber vermutlich ebenso schuldig gefühlt hat wie Steiner.«
Laura zuckte mit den Schultern und schwieg. Bert wartete minutenlang, legte sich eine andere, glaubwürdigere Theorie zurecht. Mir schien, er war nachdenklich geworden. Dann seufzte er vernehmlich und räumte ein:»Es besteht natürlich auch die Möglichkeit, daß ein Kind aus der Nachbarschaft bei ihm war.«
Eine winzige Pause, dann erklärte Bert:»Nach allem, was er mir erzählt hat, halte ich das für sehr wahrscheinlich. Das Kind sei so zärtlich und fürsorglich gewesen, sagte er. Aber es war nicht ununterbrochen bei ihm. Es sei immer wieder hinausgelaufen, sei oft stundenlang weggeblieben, sagte er. Jeden Abend ging es, und morgens kam es zurück.«
Anscheinend hatte Bert sich mit seinen letzten Ausführungen selbst überzeugt. Er lächelte wieder, nickte versonnen.
»Und dann versorgte es ihn mit Milch und Keksen. Vielleicht brachte es morgens sein eigenes Frühstück mit.«
Nach einer Weile fiel ihm noch etwas ein.
»Die Ärzte wunderten sich, das weiß ich noch. Steiner war körperlich, bis auf die Auswirkungen des Sturzes, in einer recht guten Verfassung. Er hatte sich allerdings eine leichte Diarrhö zugezogen. Angeblich hat das Kind ihn auch Wasser trinken lassen, das es irgendwo draußen geholt hat. Die Ärzte glaubten nicht, daß er fast eine Woche auf der Treppe gelegen hatte.«
Bert blieb bis weit nach Mitternacht. Es gab plötzlich für so vieles eine Erklärung. Er wechselte sich mit Laura darin ab, all die kleinen, widerlichen Episoden zwischen Mutter und Kind aufzuzählen. Bald konnte ich es nicht mehr hören, dieses ständige:»Weißt du noch, wie sie .«
Als wir ihn endlich zum Wagen brachten, fühlte ich mich nur noch erleichtert. Auch Laura wirkte ein wenig gelöster. In der Halle stockte sie kurz, warf einen rasche Blick zur Kellertreppe hin. Dann lächelte sie.
»Ich komme mit hinauf. Ich muß ja nicht jede Nacht da unten sein.«
Am Montag legte Laura einen Waschtag ein. Bettwäsche, Handtücher, dann eine Maschinenfüllung mit Dannys Sachen. Laura wollte die Kleidung des Kindes dazustecken. Aber die war nicht mehr da. Laura kam zu mir nach oben, fragte, ob ich die Sachen in den Müll geworfen hätte.
»Ich hatte sie unten im Waschraum neben die Wanne gelegt, das weiß ich ganz genau. Ob es alles mitgenommen hat.«
Das war immerhin eine Möglichkeit.
»Ich wollte ohnehin heute nachmittag nach Bedburg fahren«, sagte Laura.
»Da bringe ich ihr noch ein paar Sachen mit.«
Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, aber gegen die Fahrt schon. Laura hatte morgens mehrfach über Rückenschmerzen geklagt.
»Ich fahre«, sagte ich. Laura kniff zwar erstaunt die Augen zusammen, doch dann nickte sie. Um drei zog ich das letzte Blatt für diesen Tag aus der Maschine, gleich darauf fuhren wir los. Danny hatte nicht mitkommen wollen. Er hatte für den Nachmittag bereits eine Verabredung getroffen, die er unbedingt einhalten mußte. Laura lotste mich auf einen Parkplatz, gleich bei einem großen Supermarkt. Von dort aus gingen wir zuerst die Lindenstraße
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