Das Geheimnis der Puppe
gleichzeitig schüttelte sie so heftig den Kopf, daß Bert die Augen zusammenkniff.
»Es reicht noch lange nicht. Er schuldet mir eine gute Mutter und zwanzig Jahre. Er schuldet dir eine gesunde Frau und noch etliche Jahre mehr. Er hat sie auf dem Gewissen, auch wenn du das nicht sehen willst.«
»Das redest du dir ein«, sagte Bert. Aber sehr überzeugend klang seine Stimme nicht mehr. Laura schüttelte noch einmal den Kopf und erhob sich aus dem Sessel. Sie ging auf die Tür zu, blieb dort noch einmal stehen und drehte sich zu uns um. Mich beachtete sie gar nicht, hatte nur Augen für ihn.
»Glaubst du mir, wenn ich es dir beweise.«
»Ich wüßte nicht, was du beweisen könntest«, sagte Bert ruhig. Mit einem flüchtigen und irgendwie zufriedenen Lächeln drehte Laura sich endgültig um und ging durch die Halle zur Kellertreppe. Bert seufzte und fuhr sich mit der Hand über die Wange.
»Sie ist so bitter geworden«, meinte er.
»Sie steigert sich da in etwas hinein. Selbst wenn Steiner ein Verhältnis mit Marianne gehabt hätte .«
Bert schüttelte den Kopf und ließ den Rest unausgesprochen. Schon nach wenigen Minuten stand Laura wieder draußen, in der einen Hand ein paar Fotografien, in der anderen das alte Tagebuch. Sie legte alles wortlos vor Bert auf den Tisch.
»Was ist das.« fragte er.
»Meine Beweise, Vati. Jetzt zeige ich dir mal ein paar Fotos. Schau sie gut an. Du gehst doch täglich mit Beweisen um, da weißt du auch, wie man sie auslegen muß.«
Mit raschen Bewegungen fächerte sie die Fotos auseinander.
»Hier«, sagte sie und hielt ihm das Bild entgegen, das aus dem Umschlag des Albums gefallen war. Bert betrachtete es sekundenlang mit gelindem Mißtrauen. Lauras Miene verzog sich zu einem spöttischen Grinsen.
»Und das ist noch nicht alles«, erklärte sie. Bert bewegte unbehaglich die Schultern. Laura griff nach dem kleinen Buch, schlug es auf und hielt es so, daß er hineinsehen konnte. Ihr Zeigefinger tippte auf eine bestimmte Stelle. Wieder sagte sie:»Hier.«
Fügte dann mit belegter Stimme hinzu:»Sie war nicht einmal siebzehn, als sie schwanger wurde. Und sie war ihm nicht einmal soviel wert, daß er ihren Namen in dieses Buch schrieb.«
Lauras Stimme kippte verdächtig, als sie in verächtlichem Ton weitersprach.
»Neben seiner göttlichen Elisabeth war Mutti nur eine x-beliebige Sie.«
Bert warf mir einen Blick zu, so voller Hilflosigkeit und gleichzeitig mit dem Ansatz des Begreifens. Mir erging es ähnlich. Laura setzte sich endlich. Das Buch hatte sie nicht hergegeben. Sie schlug ein paar Seiten um und begann vorzulesen.
»›Sie haben es nicht weggeschafft. Die Frauen stecken unter einer Decke.‹ Damit hat er Brigitte Greewald und Mutti gemeint. ›Heute morgen habe ich es wieder gehört.‹ Damit meint er das Baby. Sie haben es gemeinsam betreut und versucht, es vor ihm und seiner Frau zu verstecken. Mutti hat sich so geschämt. Sie hat es ganz alleine bekommen, ohne jede Hilfe. Kannst du dir das vorstellen.«
Bert reagierte nicht. Er betrachtete das Buch in Lauras Hand, ließ den Blick dann zu den Fotografien auf dem Tisch wandern und schaute einmal kurz zu mir herüber.
»Er hat genau gewußt, daß es da war«, murmelte Laura.
»Aber er hat Mutti deutlich fühlen lassen, daß er damit nichts zu tun haben wollte. Seine Frau hat es natürlich auch bemerkt. Ziemlich früh schon. Ihr war aufgefallen, daß Muttis Blusen feucht wurden. Sie hat wohl Milch verloren.«
Lauras Stimme war kaum noch zu verstehen.
»Frau Greewald sagte: ›Es war ein armes Geschöpf. Immer allein. Annchen hatte doch keine Zeit, hatte auch Angst, daß die Steiners etwas bemerken und sie mitsamt dem armen Wurm vor die Tür setzen. Es hat mir immer in der Seele weh getan, wenn ich es weinen hörte.‹ Es ist dann gestorben«, flüsterte Laura, »und Mutti ist darüber verrückt geworden.«
Bert schwieg immer noch. Ich sah, wie seine Brust sich unter den gepreßten Atemzügen hob und senkte. Wie seine Hände auf den Armlehnen des Sessels sich verkrampften.
»Frau Greewald meint«, flüsterte Laura erstickt, »daß Mutti nur deswegen gestorben ist. Weil sie es nicht verkraften konnte, noch einmal in dieses Haus zu kommen. Sie hat das all die Jahre mit sich herumgetragen, daß sie ihr eigenes Kind einsperren mußte, daß sie ihm so nahe war und es doch nicht bei sich haben konnte. Daß es unter diesen Umständen ganz verkümmert ist. Frau Greewald sagte: ›Es war ein süßes Kind.
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