Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Schafherde, um die sich Engel und Teufel stritten, Männer wie Johannes Tauler und Hasan-i-Sabah. Nur durch den Tod, ihren und Christians, war Hasan-i-Sabah aufzuhalten, nur durch den selbstlosen Mut, den sie aufbringen musste, das Letzte zu wagen. Sie wollte gerade zum Schwert greifen, als Hafis plötzlich den Psalm anstimmte, den er oft von Maria auf ihrer Reise gehört hatte und den er so sehr liebte:
Ich freute mich über die, die mir sagten:
Lasset uns ziehen zum Hause des HERRN!
Nun stehen unsere Füße in deinen Toren, Jeruschalajim.
Jeruschalajim ist gebaut als eine Stadt,
in der man zusammenkommen soll,
wohin die Stämme hinaufziehen,
die Stämme des HERRN …
»Schafft den Sufi raus! Schneidet ihm die Kehle durch. Er hat genug gesungen!«, brüllte Hasan.
Und dann ging alles plötzlich sehr schnell. Als hätte er nur darauf gewartet, dass Hasan ihn aus den Augen ließ, griff Christian mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung nach dem Schwert, das noch in Marias Gürtel steckte, erhob es und erschlug Hasan-i-Sabah. Maria, die Christians Bewegung aus den Augenwinkeln gewahrte, erstach mit dem Dolch von hinten einen von Hasans Garde, der gerade Hand an Hafis legen wollte, und erntete dafür einen liebevollen Blick des Persers.
Als die Männer jedoch sahen, dass ihr Anführer auf dem Boden lag und sein weißer Bart sich vom austretenden Blut rot färbte, erfasste sie Angst und Verwirrung, denn sie wussten nicht, wie sie sich verhalten und was sie tun sollten, so sehr hatte Hasan ihr Denken beherrscht. Sie stürzten aus dem Zimmer, als wären sie dem Leibhaftigen begegnet. Ihre panischen Stimmen hallten in den Fluren wider: »Der Shaykh ist tot! Der Shaykh ist tot! Man hat den Shaykh erschlagen!«
»Kommt«, rief Christian den beiden zu. Maria schaute ihren Bruder prüfend an. Der umarmte sie lachend. »Meint ihr, ich überlasse euch dem da!
Kapitel 37
D er Jeep hielt.
»Raus mit dir!«, fuhr Achmed sie an. Marta stieg aus dem Jeep und schaute sich um. Um sie herum lagen Ruinen, aufragend oder als zusammengesunkenes Häuflein, je nachdem, in welchem Zustand die Erdbeben die Gebäude hinterlassen hatten. Hinter den Berggipfeln, die wie riesige, schräg übereinandergelegte Gesteinsplatten wirkten, ging eine blutrote Sonne auf. Sie stach ihr in die Augen, so dass sie schnell zum Schutz ihre Hand hob. Links von ihr standen die Reste eines Turms, die Marta als die Reste des Verlieses wiedererkannte, in dem ihr Großvater gefangen gehalten worden war.
»Komm«, drängelte Achmed ungeduldig. Sie folgte ihm in ein Haus ohne Dach. Die Rückseite bildete eine Felswand, die sich öffnete und den Blick auf einen breiten Gang freigab, der von Glühbirnen, die in unregelmäßigen Abständen von der Decke hingen, beleuchtet wurde. Von dem Flur gingen Räume ab, abgetrennt durch Türen, manchmal aber auch nur durch Vorhänge. Ach med öffnete schließlich eine Doppelflügeltür, und sie be traten einen kleinen Saal, in dem ein großer, von Stühlen umgebener runder Tisch stand. Von der gegenüberliegenden Seite trat ihnen ein Mann entgegen, wuchtig, muskulös, mit struppigen schwarzen Haaren und klugen Augen. Sofort erkannte sie in ihm jenen Mann wieder, mit dem ihr Großvater sich auf dem Bergplateau gestritten hatte. Mit einer Handbewegung forderte er sie auf, sich zu setzen.
»Erst will ich meine Kinder sehen!«, sagte sie entschieden.
»Wenn wir uns unterhalten haben!«, entgegnete er in besserem Deutsch, als Achmed es sprach. Widerwillig folgte sie seiner Anweisung. Er erzählte ihr von seinem Vorgänger, zu dessen Ehren er den Namen Hasan-i-Sabah angenommen hatte, dem letzten großen Shaykh der fidawijja , bevor achtbare Männer den Orden am Leben gehalten hatten, ohne jedoch seine alte Stärke zurück erobern zu können. Als Christian Rosenkreuz Hasan da mals erschlug, traf er den Orden damit ins Mark. Er brauchte Jahrhunderte, um sich zu erholen, Jahrhunderte, in denen er nur damit beschäftigt war, das Wissen zu erhalten, das er gesammelt und geschaffen hatte. Es war nicht einmal daran zu denken gewesen, wieder eine mächtige Organisation aufzubauen.
Hasan hatte in Köln Elektrotechnik studiert. Doch wer er war, wusste er nicht. Iraner? Deutscher? Muslim? Wissenschaftler? Ingenieur? Um nicht verrückt zu werden, warf er alles hin und wanderte, von Konya beginnend, durch die Türkei Richtung Osten. Nadschaf und Kerbela, Quom und schließlich Lahore lagen auf seinem Weg. Er lernte Sufis der
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