Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
das, Shaykh?«, fragte sie, ohne zu sprechen.
»Indem du sie nicht denkst. Keine Sorge, du wirst es lernen.«
»Einverstanden«, sagte sie laut, »ich gehe nach Alamut. Hafis, mein Liebster, du musst mich nicht begleiten. Ich danke dir für alles, was du für mich getan hast. Aber hier endet unsere gemeinsame Reise.«
Hafis entfuhr ein ellenlanger persischer Fluch, dann sagte er: »Es würde mir nicht zur Ehre gereichen, wenn ich dich nicht begleiten würde. Nicht auszudenken die Schande, die über mich käme, wenn ich dich auf dieser gefährlichsten Reise von allen, noch dazu in meine Heimat, im Stich ließe!«
Der Ausdruck seiner Liebe zu ihr, die über die Liebe zu seinem eigenen Leben ging, beglückte sie, aber sie konnte und wollte das Opfer nicht annehmen. Sie würde es nicht ertragen, ihn sterben zu sehen, und nichts auf der Welt wäre schlimmer als das Wissen darum, dass sie die Schuld an seinem Tod trüge. Also bat sie ihn, flehte ihn an, beschwor ihn, befahl ihm schließlich, sie allein ziehen zu lassen. Doch nicht nur, dass er taub für diesen Wunsch war, er wurde darin auch von den Weisen unterstützt.
»Du wirst die Aufgabe nicht allein erfüllen können. Du wirst Hafis brauchen.« – »Ihr seid Gefährten!« – »Weshalb, denkt ihr, hat euch die Reise zusammengeführt? Woher, meint ihr, kam die Kraft für die Art und Weise, wie ihr euch in der Wüste geliebt habt?«
Die beiden erröteten.
»Wir waren nicht dabei, wir wissen nur davon«, bemerkte Avram diskret.
Es verlangte Hafis zu erfahren, welche Waffen und Fertigkeiten sie besäßen, die ihnen zumindest eine Chance einräumte, den Auftrag erfolgreich ausführen zu können.
»Die Liebe«, sagte Avram. »Hasan kennt die Liebe nicht, nur den Hass, denn er ist ein Meister des Hasses und der Vater des Zorns. Aber das ist auch seine Schwäche. Maria hat einen starken Freund an ihrer Seite, Azrael. Und wir werden euch in den nächsten Wochen das letzte und höchste Wissen vermitteln, einen sehr wichtigen Teil der Geheimnisse von Damcar!«
Avram lächelte undurchdringlich. Seine Worte klangen in Marias Ohren wie ein Geschenk und eine Drohung zugleich.
Kapitel 32
W as nun für sie folgte, nachdem sie sich entschlossen hatte, ihren Bruder zu befreien und damit auch den Auftrag der Weisen von Damcar anzunehmen, geriet zur seltsamsten Zeit ihres Lebens, zu einer Zeit ohne Zeit, zu einem Sein ohne Werden.
Die Weisen versprachen ihr, sie in das tiefste Geheimnis einzuweihen, nämlich in die Fähigkeit zur körperlos en Reise an jeden Ort der Welt und zur Kommunikation über große Distanzen hinweg. Hafis hingegen würde sie während der Zeit ihrer Initiation in die tiefsten Mysterien der Heilkunst einweihen. Zusammen würden sie danach über das Wissen verfügen, das die Weisen seinerzeit Christian vermittelt hatten. Aber bei ihm hatte ihnen beträchtlich mehr Zeit zur Verfügung gestanden.
Avram sprach eindringlich mit Maria und warnte sie, dass ihr die schwierigste Reise ihres Lebens, die Wanderung zum Urgrund ihrer Seele bevorstand. »Wer wiedergeboren werden will, muss zuvor sterben«, sagte er, und Yussuf fügte hinzu: »Nur ein Wiedergeborener wird die Weisen treffen.«
Denselben Satz hatte Mansur damals Hafis zugerufen, als Maria ihrem Tod ins Auge zu sehen glaubte und sich zum ersten Mal an ihr Leben geklammert hatte. Und das nicht allein aus dem Grund, weil sie ihre Aufgabe noch nicht erfüllt hatte, sondern auch, weil sie das Leben selbst spürte.
»Seid ihr etwa nicht die Weisen?«, fragte sie.
»Schon, aber noch siehst du uns nicht in unserer wahren Gestalt, noch hast du Avram und Yussuf vor dir, aber nicht diejenigen, die wir wirklich sind.«
Da begann sie zu ahnen, was ihr bevorstand.
Avram rollte den Teppich zurück, und Yussuf öffnete die Bodenklappe, die darunter zum Vorschein kam. Kalte Dunkelheit sprang sie aus der Tiefe an. Mit Schaudern blickte sie hinab und schluckte. Ihr fiel der Satz aus der Offenbarung ein: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle.
Mit einem Mal empfand sie eine bisher nicht gekannte Furcht im Angesicht der Aufgabe, die offenbar nur sie zu lösen vermochte. Bis jetzt hatte ein naives Selbstvertrauen sie davor bewahrt, darüber nachzudenken, mit welchen Kräften sie sich einließ und wen sie herausforderte. Nun schauderte sie zurück. Sie war doch nur eine
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