Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
Dhimmis unter seinem persönlichen Schutz. Bei einem Obsthändler erkundigte sich Hafis nach Yussuf, dem Metzger. Der Obsthändler erklärte ihm den Weg, nicht ohne ihnen frische Orangen anzubieten. Der süße Saft versetzte sie fast ins Paradies, so sehr genossen sie ihn.
Yussufs Haus bestand aus zwei Stockwerken, der Eingang zur Metzgerei war von einem schlichten Balkon überdacht. Als sie den schattigen Innenraum betraten, von dessen Deckenbalken Ziegen und Hammelkeulen hingen, drang ihnen sofort der süßliche Geruch von frischem Blut in die Nase. Ihr Blick fiel auf einen kleinen Mann mit blutverschmiertem Kaftan, der einen Schafbock beim Ausbluten beobachtete. Der Mann schaute auf die beiden Fremden, ohne eine Miene zu verziehen.
»Salam aleikum«, grüßte Hafis, erhielt aber keine Antwort.
»Schalom«, versuchte es Maria.
Der Metzger grinste listig, wobei er eine Zahnlücke in der Mitte des Oberkiefers entblößte, und sagte auf Spanisch: »Gloria a Dios en las alturas,y en la tierra paz a los que gozan de su buena voluntad.« Dann wiederholte er auf Latein: »Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.«
»Seit wann zitiert ein Jude das Evangelium nach Lukas aus dem Neuen Testament?«, wunderte sie sich.
»Bin ich ein Jude? Vielleicht. War Jesus ein Jude? Bestimmt. Was wollt ihr, Lamm oder Ziege?«
»Das Passachlamm«, antwortete Maria auf Hebräisch.
»So, das Passachlamm. Wer schickt euch?«, wechselte Yussuf wieder ins Arabische.
»Mansur, der Kaufmann«, übernahm Hafis das Gespräch.
»Ich kenne keinen Mansur.«
»Du kennst ihn nicht, aber du weißt von ihm.«
Der Metzger näherte sich den beiden und schaute ihnen fest in die Augen. »Wie hieß der Mann, der den Leeren Ort bewohnt?«
»Selim.«
»Wisst, ihr seid einem Toten begegnet. Er hat nur noch auf euch gewartet, um seine Ruhe zu finden. Was trägt der Christ, den ihr sucht, um den Hals?«
Maria schluckte. Sprach Yussuf etwa von ihrem Bruder? Mit zitternden Händen zog sie ihren Kettenanhänger aus dem Gewand und zeigte dem Metzger das halbe Kreuz. Er berührte es, und sein Blick wurde weich. Dann hieß er sie, die Gasse bis zum Ende zu gehen, die nächste Quergasse links und in die Parallelgasse zu seiner eigenen abzubiegen, wo auf der Höhe seiner Metzgerei sein Freund Avram ebenfalls eine Koscherschlachterei betrieb.
»Geht zu ihm und sagt ihm, dass ich euch schicke. Die Tage der Entscheidung sind angebrochen, der Engel ist eingetroffen.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Der Engel?«
Er zeigte mit seinem Finger auf das Schwert an ihrer Seite, dann zitierte er den Koran:
»Der Todesengel wird euch zu sich nehmen,
der über euch bestellt ist:
Dann werdet ihr zu eurem Herren zurückgebracht.«
Sie war sich über die Erfolglosigkeit des Versuches, weiter in ihn zu dringen und nach Christian zu fragen, voll kommen im Klaren. Maria würde sich gedulden müssen. Also folgte sie Hafis. Avram ähnelte Yussuf von Größe, Habitus und Sprechweise. Auch seine Metzgerei glich der Yussufs. Der jüdische Metzger bat sie in den ersten Stock seines Hauses. Er lebte allein. Sie setzten sich auf einen schäbigen Teppich in einem fensterlosen Raum und tranken Tee. »Du musst dich an die Dunkelheit gewöhnen, meine Tochter«, war das Einzige, was sie von ihm über ihre Zukunft und über ihren Bruder zu hören bekam. Avram fragte Hafis pedantisch genau über seine Reisen, seine Lehrmeister und seine Kenntnisse aus.
Als Yussuf kam, herrschte draußen vollkommene Dun kelheit. Licht strahlte nur von der Altstadt und der Weißen Stadt herüber, das jüdische Viertel indes lag im Finsteren. Avram zündete eine Öllampe an und führte seine Gäste ins Erdgeschoss. Hinter der Metzgerei befand sich ein weiterer fensterloser Raum, in dem nur ein paar durchgewetzte Teppiche lagen. Avram drückte gegen die Rückwand, woraufhin sich ein Spalt öffnete, gerade groß genug, dass eine Person bequem hindurchzugehen ver mochte. Avram ging voraus, Hafis und Maria folgten mit bebenden Herzen, während Yussuf den Schluss bildete und hinter sich die Wand wieder verschloss. Jetzt standen sie in einem quadratischen Raum, der mit wertvollen Perserteppichen und kostbaren Suffuhs ausgestattet war. Avram stellte das mitgebrachte Öllämpchen auf einen achteckigen Tisch mit kostbaren Intarsien. Dann setzten sich die beiden alten Männer und forderten mit einer sparsamen Handbewegung ihre beiden Gäste auf, es ihnen gleichzutun. Maria
Weitere Kostenlose Bücher