Das Geheimnis der Rosenkreuzerin
erkannte, dass die beiden Metz gereien in zwei parallel verlaufenden Gassen an ihrer Rückseite miteinander verbunden waren und in Wirk lichkeit ein Gebäude darstellten und ihre vermeintlichen Rückwände diesen geheimen Raum einschlossen.
Avram hob langsam und bedächtig an zu sprechen wie ein Mann, der keine Eile kannte, weil er in den Strom der Zeit getaucht war.
»Als wir Damcar verließen, weil es nicht mehr der Ort unseres Lebens war, wussten wir, dass wir uns über die Welt verstreuen mussten. Wir hatten erkannt, dass sich die Weisheit, die sich nur an einem Ort konzentrierte, in größter Gefahr befand. Die Kräfte des Bösen muss ten uns nur überfallen. Also tauchten wir in der Welt unter. Unser beider Los lautete, als Metzger getarnt in Fès unterzutauchen.«
»Warum ausgerechnet als Metzger?«, fragte Maria.
Der Weise lächelte. »Weil er zu den verachteten Berufen gehört. Ihr habt hinter unserem blutigen Gewerbe unsere wahre Identität doch auch nicht erkannt oder erraten.«
»Stimmt«, gestand Maria ein. Sie bewunderte die Klugheit der beiden alten Männer. Juden standen in der Hierarchie ganz unten, und Metzger belegten mit Totenwäschern die unterste Stufe der sozialen Stufenleiter. Wer würde die arabischen Weisen schon unter den jüdischen Metzgern suchen? Auf diese Idee käme nicht einmal Hasan-i-Sabah.
Nun erfuhr sie, dass Christian von den Weisen den Auftrag erhalten hatte, den Orden im Abendland neu zu gründen, weil seine Tage im Morgenland gezählt waren. Alles Wissen und alle Fertigkeiten dafür hatte er bei Yussuf erworben. Doch je länger sie ihm zuhörte, desto mehr beschlich sie das bedrückende Gefühl, dass etwas grauenvoll schiefgegangen war. Die Angst vor dem, was sie gleich zu hören bekommen würde, trocknete ihr die Kehle aus. Der Alte war zwar nicht weitschweifig in seinen Schilderungen, aber genau.
»Sarazenen haben das Schiff, auf dem Christian nach Spanien segelte, überfallen, ihn gefangen genommen und an Hasan, den Anführer der Assassinen, verkauft.«
»Christian wird in Alamut gefangen gehalten!«, platzte Hafis heraus.
Die beiden Alten nickten betrübt.
»Wo ist denn das?«, fragte Maria erschrocken.
»Südlich vom Kaspischen Meer, im Norden Persiens.«
»Und was haben die davon, ihn gefangen zu nehmen?«, wollte Maria wissen.
»Sie sind hinter dem Wissen her, das er bei den Weisen erworben hat«, erklärte Hafis mit finsterer Miene.
»Ihr müsst ihn befreien«, sagte Yussuf. »Nicht auszudenken, wenn Hasan ihn auf seine Seite zieht.«
»Wie sollte ihm das gelingen?«, fragte Maria ärgerlich, denn der Zweifel an Christians Zuverlässigkeit verstimmte sie.
»Hasan ist klug, gerissen und mächtig. Wüsste ich, ob ich ihm widerstände, fiele ich ihm in die Hände?«, gab Avram mit betrübtem Gesicht zu.
Hafis schüttelte den Kopf, sämtliches Blut schien ihm aus dem Gesicht gewichen zu sein. Die weiße Stadt des Sultans war schwarz im Vergleich zur Farbe seines Antlitzes. »In die Festung des Alten vom Berge eindringen, einen Gefangenen befreien und mit ihm entkommen zu wollen, ist heller Wahnsinn. Wir gelangen nicht einmal in die Nähe von Alamut, ohne bemerkt und überwältigt zu werden.«
»Ich gebe zu, die Chancen stehen schlecht, und vermut lich hat Hafis Recht, aber ihr habt starke Verbündete und führt verlässliche Waffen mit euch!«, erwiderte Avram.
Hafis schüttelte nur ungläubig den Kopf. Seine Hände begannen zu zittern. Niemals zuvor hatte Maria ihren Gefährten in Panik gesehen, und der Anblick seiner Angst jagte ihr Respekt vor dem tollkühnen Vorhaben ein. Aber sie hatte Zehntausende von Meilen zurückgelegt, die Wüste überwunden und war Räubern entkommen, sie hatte Krankheit überstanden und ihre Sinne und ihren Körper geschult, da würde sie jetzt nicht aufgeben. Und dann kam ihr ein Gedanke, der alle Bedenken in ihr fortspülte wie ein reißender Fluss. In ihrer Vorstellung wurde Hasan-i-Sabah zu August von Virneburg. Beide stellten für sie das vollkommene Böse dar. In Hasan-i-Sabah würde sie den Bischof des Teufels töten können.
»Es geht nicht um Vergeltung, es geht um Befreiung«, mahnte Yussuf.
Ertappt, musste sie unwillkürlich lächeln. »Waren meine Gedanken so deutlich?«
»Sie lagen offen vor mir wie ein Buch.«
Und dann vernahm sie Yussufs Stimme in ihrem Kopf, während sie seine Lippen geschlossen sah. »Du wirst lernen müssen, deine Gedanken so zu verstecken, dass niemand sie lesen kann.«
»Wie mache ich
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