Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
über ihn sagt, dass er an Schwermut litt. Auch seine zurückgezogene Lebensweise auf dem Hradschin, der Prager Burg, lässt dies vermuten, ja bestätigt es eigentlich. In seiner Gegenwart durfte nur leise gesprochen werden. Sein Wahlspruch: fulget caesaris astrum – es leuchtet des Kaisers Gestirn – wollte gar nicht zu seinem flüchtigen Lächeln passen. So wenig er jedoch an Freude und Leid seines Volkes teilnahm, so sehr interessierte er sich doch für die Wissenschaften, vornehmlich Mathematik und Astrologie. So hatte er denn den adeligen Dänen Tycho Brahe an seinen Hof geholt. Kaiser Rudolf ließ Brahe eigens eine neue Sternwarte bauen. Als ich Brahe das erste Mal traf, dachte ich bei mir: Ach, welch eigenartiger Kauz. Auch sein langgezogenes Gesicht mit dem auffällig langen Schnauzbart weckte kein Vertrauen in mir. Im Alter von 20 Jahren, so erzählte man damals, sollte er sich mit einem anderen Studenten wegen einer mathematischen Formel gestritten haben. Im Duell danach verlor er etwas von seiner Nase. Das fehlende Stück glich er durch eine Kupferfolie aus, die der Nase nachgeformt war.
Nach dem Studium meines Erstlingswerkes Mysterium Cosmographicum – Das Weltgeheimnis – lud er mich ein, nach Prag zu kommen. Wahrscheinlich hegte er die Hoffnung, dass ich seinen Thesen, seinen Beobachtungen, zum Durchbruch verhelfen könnte. Ihr müsst wissen, Liebknecht, Brahe misstraute seiner Zeit dem heliozentrischen Weltbild, das auf der Annahme basiert, dass sich die Planeten um die Sonne bewegen. Durch seine präzisen Beobachtungen kannte er aber auch die Mängel des bisher geltenden geozentrischen Weltsystems, der Erde im Zentrum des Universums. Brahe entwickelte ein eigenes Weltsystem, eine Synthese gewissermaßen aus beiden. In seinem System ruhte im Zentrum die Erde, die von Sonne und Mond umkreist wurde. Alle anderen Himmelskörper bewegten sich jedoch wie im heliozentrischen Weltbild um die Sonne.
So trafen wir uns denn auf Schloss Benatek. Schnell stellte sich heraus, dass die Zusammenarbeit zwischen uns sehr schwierig war. Unsere Auffassungen wichen zu sehr voneinander ab. Zudem war Brahe äußerst herrschsüchtig, zuweilen jähzornig. Kaum zwei Jahre später geschah etwas, was ich bis heute nicht vergessen habe. Kaiser Rudolf hatte uns zu einem Festbankett eingeladen, genau am 13. Oktober 1601. Brahe war an diesem Tag äußerst gut gelaunt, scherzte sogar mit mir und lobte vor vielen Gästen meine Fähigkeiten. Doch plötzlich plagten ihn heftige Unterleibsschmerzen, Blasenschmerzen, wie sein Freund und Arzt Jan Jessenius später diagnostizierte. Angeblich hatte Brahe einen Blasenriss, der schließlich zehn Tage später zu seinem Tode führte. Noch bevor er starb, hat er sein Testament gemacht und mich beauftragt, alle seine wissenschaftlichen Unterlagen und Aufzeichnungen zu studieren und abzuschließen. Selbstverständlich bin ich diesem Wunsche gerne gefolgt und habe später alle gesammelten Fakten unter seinem Namen auch veröffentlicht. Tycho Brahes Tod war auch für mich ein schmerzhafter Verlust, denn trotz aller Verschiedenheit, die uns prägte, war er ein großartiger Beobachter und Kenner der Gestirne am Firmament, von dem ich sehr viel lernte. Dennoch erschien mir sein Tod rätselhaft.«
»Was wollt Ihr damit sagen, werter Kepler?«, fragte Matthias leise. Der große Astronom sah ihn mit glanzlosen Augen an und nickte.
»Ja, ich glaube nicht an einen natürlichen Tod ob dieser Krankheit. Mir deucht, dass ihm jemand nach dem Leben trachtete. Ihr müsst wissen, der Hradschin war voll von Höflingen, die um die Gunst des Kaisers stritten, Neider, die anderen noch nicht einmal den Dreck unter den Fingernägeln gönnten. Brahe und ich standen hoch in des Kaisers Gunst. Kaum ein Tag verging, an dem er sich nicht nach uns erkundigte, nach dem Stand unserer Arbeiten und auch genaue Berichte verlangte. Wäre es da nicht verwunderlich, dass jemand den Tod Brahes mit Absicht herbeiführte? Viele wussten von Tycho Brahes Leiden. Dass er häufig unter Krämpfen litt. Einst erwähnte er, dass er zur Linderung Quecksilber verordnet bekam. Selbst der unerfahrenste Alchemist weiß, dass eine zu hohe Dosis Quecksilber zum Tode führen kann. Doch wer sollte ein Interesse daran gehabt haben, Tycho Brahe zu vergiften? Nun, bei diesen vielen Höflingen war das schnell ersichtlich. Hinter vorgehaltener Hand sagte man, dass ich meinen Meister ermordet haben sollte. Schließlich bin ich ja Protestant und
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