Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
Gedanke an die Bequemlichkeiten dort heiterte ihn etwas auf. Maurus fühlte sich als eine wichtige Person, die einen besonderen, schwierigen Auftrag zu erfüllen hatte.
Erstaunlich ruhig und ohne Komplikationen erreichte Maurus Lüttich, fühlte sich langsam sicherer und wohler in seiner Haut. Die Stadt breitete sich links und rechts der Meuse, wie der Fluss Maas hier genannt wurde, aus; zwischen grünen, sanft ansteigenden Tälern und lieblichen, zum Teil bewaldeten Hügeln. Einer davon, der Cointe, gehörte zu Churfürst Ferdinands bevorzugten Jagdrevieren. Ferdinand von Wittelsbach war nicht nur Erzbischof von Cölln, sondern auch Fürstbischof von Lüttich und anderen Fürstbistümern. Die Jagd und seine Hunde, das waren die einzigen Leidenschaften des ansonsten eher asketisch lebenden Churfürsten. Auf den Hängen des Cointe erstreckten sich viele Weingärten, aber auch zahlreiche Bergwerksstollen, in denen Kohle abgebaut wurde, die in zahlreichen Schmieden Lüttichs dringend benötigt wurde. Die Stadt am Zusammenfluss von Maas und Ourthe war seit langem weithin bekannt für ihre Schwert – und Waffenschmieden.
Der Stadtkern Lüttichs besaß malerische Innenhöfe und stille, verträumte Gässchen. Den Menschen, die die reiche Stadt bevölkerten, merkte man den Wohlstand der Stadt an, den sie auch dem Sitz ihres Fürstbischofs zu verdanken hatte.
Maurus erreichte den westlichen Stadtrand im Stadtteil Outremeuse (der flämische Name für die andere Maasseite). Hier gab es viele kleinere Handwerksbetriebe, die Menschen in diesem Teil der Stadt lebten eher bescheiden. Der Jesuit im schlichten Kaufmannsgewand überquerte eine Brücke, die die Meuse überspannte und Outremeuse mit der eigentlichen Stadt verband. Er kutschierte mit seinem Maultier durch Straßen, in denen die Häuser dicht gedrängt standen, bis er schließlich sein Ziel, das fürstbischöfliche Palais neben der Saint Pauls Kathedrale erreicht hatte.
»Seid willkommen, ehrenwerter Bruder Maurus«, begrüßte ihn der Truchsess der fürstbischöflichen Residenz, als ihm Maurus seine Legitimation vorlegte. »Van Leuven, nicht wahr? So war doch der zweite Name. Ich werde sofort einen Hausdiener rufen, der Euch in Euer Quartier geleiten wird«, beeilte er sich geflissentlich anzufügen.
Maurus, müde von seiner langen Reise, war dankbar ob dieser bevorzugten Behandlung und fühlte sich in diesem Augenblick wie ein Adliger, ja fast schon wie ein Ritter oder Fürst. So beachtete er den hochgewachsenen Mönch nicht weiter, der sich ihm wie beiläufig näherte.
»Verzeiht Bruder«, sprach ihn der Mönch ganz unvermittelt an. Maurus sah erstaunt in das freundliche Gesicht des Kirchenmannes. Dem Habit, seiner Ordenstracht nach mochte sein Gegenüber Dominikaner sein. Der Mönch überragte Maurus fast um Haupteslänge und lächelte ihn freundlich an.
»Oh, ich sehe, Ihr seid verwirrt, weil ich Euch als Bruder erkenne«, fuhr der Mönch fort. »Aber seid versichert, dies hat seine Ursache in dem Ruhme, der Euch vorauseilt.«
Irritiert blickte Maurus den Dominikaner an, fühlte sich gleichzeitig sehr geschmeichelt und nickte ergriffen.
»Nun, ich weilte eine Zeitlang in Cölln. Dort hörte ich von Maurus van Leuven, einem der Archivare des Cöllner Churfürsten, unseres Erzbischofs Ferdinand. Ihr sollt ein ausgewiesener Kenner der alten Sprachen sein«, schmeichelte der Dominikaner geschickt.
»Habt Dank für Eure freundlichen Worte. Was kann ich für Euch tun, Bruder…?« Maurus wirkte verlegen.
»Oh, das würde ich gern später mit Euch bereden, wenn Ihr erlaubt. Doch verzeiht wiederum meine Unhöflichkeit! Ich vergaß mich vorzustellen. Ich bin Pater Pierre Petit, ein Jacobins, wie die Franzosen sagen. Aber sagt, Ihr seht gar nicht aus wie ein Jesuit!«
Der Dominikaner ließ seinen Blick kurz auf Maurus’ Gestalt ruhen.
»Ihr meint sicher mein Aussehen, meine Kleidung. Ja, hm, ich reise allein, so schien es mir sicherer, nicht in geistlicher Kleidung unterwegs zu sein. Man kann ja nicht wissen, wem man begegnet. Ihr versteht? Petit, Pierre, sagtet Ihr?«
»So ist es, Bruder.« Pater Pierre lächelte. »Eure Sorge um Eure Sicherheit verstehe ich nur zu gut. In diesen Zeiten ist eine Reise eine durchaus ernstzunehmende Gefahr. Möge der Herr Euch auf Euren Wegen begleiten und sicher an Euer Ziel führen. Was führt Euch nach Lüttich?«
Für einen kurzen Augenblick flammte Misstrauen in Maurus auf; warum fragte dieser Kerl ihn so unverhohlen aus?
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