Das Geheimnis der Rosenlinie - Esch, W: Geheimnis der Rosenlinie
ihm! Ruperts plötzliches Verschwinden würde eine Suchaktion auslösen, das war klar! Hatte man die Mönche mit Absicht aus der Abtei herauslocken wollen, aber warum? Vielleicht, weil sich jemand dort in aller Ruhe umschauen wollte? Aber wer?
Maurus’ Verdacht fiel auf Frater Jean. Die Abneigung des alten Bibliothekars ihm gegenüber war ja offensichtlich und seine Warnung zu den Aufzeichnungen des Arnulf van Leuven klangen noch immer in Maurus’ Ohren nach.
Entschlossen machte sich Maurus auf den Weg zurück zum Kloster. Das Refectorium im Südflügel war verwaist. Verwundert blickte er sich um. Eben hatten doch noch alle hier zusammen gesessen und gespeist. Wo waren die Mönche? Umständlich kramte er seine Taschenuhr hervor und stellte erstaunt fest, dass sein Spaziergang fast eine Stunde gedauert hatte. Das Abendessen war beendet, warum aber war der Tisch noch nicht abgeräumt? Alles sah nach plötzlichem, überstürztem Aufbruch aus. Unschlüssig sah er sich um, ging dann in die angeschlossene Küche.
Entsetzt schreckte er zurück, als er vor dem großen Herd eine Blutlache sah, darin die Leiche des Kochs Albert mit zertrümmertem Schädel. Hirnmasse bedeckte den Fußboden inmitten einer großen Blutlache. Wie erstarrt stand er da. Bei diesem grauenvollen Anblick war Maurus kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, als er plötzlich spürte, wie ihn jemand von hinten an seinem Rock zog. Zu Tode erschrocken, atemlos vor Angst, wagte er, sich umzudrehen und erblickte Romary, dessen tränenerfüllten Augen vor Entsetzen geweitet waren.
»Junge!«, seufzte Maurus erleichtert.
»Pst, Frater Maurus. Kommt schnell.«
»Was ist hier passiert?«
»Seid still, sonst werden wir alle sterben«, flüsterte der Novize Maurus zu und deutete auf den toten Koch. Maurus wurde schnell klar, dass es wohl die beste Lösung sei, dem Jungen zu folgen.
So verließen sie das Gebäude und rannten eiligst den Trakt der Laienbrüder entlang, immer geduckt, um nicht entdeckt zu werden. Die beiden Mönche überquerten den kleinen Fluss, der das Klostergelände in zwei Hälften teilte, und erreichten schließlich das Brauhaus des Klosters. Dicke Spinnweben überall auf den Braukesseln, auf Fenstern und Wänden zeugten davon, dass hier bereits seit längerer Zeit kein Bier mehr gebraut worden war. Sie durchquerten den Saal. Am Ende befand sich ein riesiger Kamin, vor dem sie über eine Bodenklappe und Treppe in einen kleinen Keller stiegen. In diesem Versteck wähnten sich Romary und Maurus sicher.
»Hier wird er uns nicht finden. Hier haben wir uns immer versteckt, wenn wir nicht wollten, dass Frater Amarin uns neue Lektionen lehrt.«
Der Junge kauerte auf der Erde, die Hände um das Knie geschlungen und starrte vor sich hin.
»Was ist denn geschehen, Romary, wo sind die Brüder und Matys?«
»Es ist der Teufel«, sagte der Knabe tonlos. »Der Teufel, Bruder Maurus. Er ist gekommen, hat sie alle geholt. Sie sind alle tot, alle. Auch Matys!«
Jetzt heulte Romary leise vor sich hin
»Ist ja schon gut, Junge, ist ja schon gut«, versuchte Maurus etwas zu trösten. „Weißt du, wer das war? War es Frater Jean?«, wollte Maurus wissen.
Romary blickte Maurus angsterfüllt an.
»Hast du nicht gehört, was ich sagte, es war der Teufel! Er sah aus wie der Teufel! Der kahle Kopf, dieser grausame Blick! Ich habe gesehen, wie er Frater Jean mit einem Rosenkranz erdrosselte. Und dann – und dann«, schluchzte Romary weiter, »hat er noch so ein Zeug gemurmelt wie: Alles, worum man mich durch den heiligen Rosenkranz bittet, wird man erhalten. Ist denn der Rosenkranz ein Werkzeug des Teufels?« Maurus lächelte unsicher und drückte den Jungen an sich.
»Nein, Romary, ein Rosenkranz ist nicht des Teufels, aber ich beginne zu ahnen, was dieser Teufel wollte.«
»Und was, Frater Maurus?«
Maurus zögerte einen Moment, gab einen grunzenden Laut von sich. Dann antwortete er fest: »Mich, Romary. Er hat eigentlich mich gesucht!«
Kapitel 27
Die Flucht
Wie viele Stunden sie in diesem Kellerloch verbracht hatten, wussten sie nicht, wie lange sie dort unten zusammengekauert gesessen, kaum geschlafen, vor Angst gezittert hatten. Romary war hin und wieder eingeschlafen, doch immer wieder durch schreckliche Traumbilder aufgeschreckt. Jetzt schlief er tief und fest, von der Müdigkeit übermannt.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte Maurus unbeholfen, als der Novize später erwachte, sich die Augen rieb und ihn blinzelnd ansah.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher