Das Geheimnis der Salzschwestern
du darfst dich von solchen Zwischenfällen nicht so runterziehen lassen. Wir probieren es einfach wieder. Der Name Turner darf nicht aussterben.« Er streckte die Hand aus und fasste ihr unter der Decke an den Schenkel, dann fuhr er mit den Fingern ihren Körper hinauf. Auf seinem Weg erstarrten alle Körperteile – Schulter, Ellbogen, Handgelenk – unter der Berührung, aber Whit bemerkte es gar nicht, oder vielleicht war es ihm auch egal. »Außerdem hast du doch jede Menge Verpflichtungen. Was ist denn mit deiner ganzen Komiteearbeit? Und Icicle müsste auch mal wieder raus.«
Das stimmte. Claire hatte inzwischen reiten gelernt, und nun war ihr Icicle ein großer Trost, ein Wunder aus Muskeln und Intuition. Claire wusste aber, dass er unruhig wurde, wenn sie ihm nicht täglich Bewegung verschaffte. Sie setzte sich auf und seufzte. Sie war nicht ganz sicher, was es über ihre Ehe aussagte, dass ihr Pferd sie aus dem Bett bekam, wenn es ihrem Ehemann nicht gelang, aber sie hielt es für kein gutes Zeichen.
Also stand sie auf, schob sich den Ehering wieder an den Finger, griff nach Ohrringen, einer Brosche und der Kette mit der Perle und stürzte sich in fieberhafte Aktivität. Innerhalb einer Woche organisierte sie die Bibliothek nach Themen sowie alphabetisch und brachte die Sammlung antiker Ausgaben zum Binder, damit er die Buchrücken reparierte. Sie schaute den Porzellanschrank im Esszimmer durch und sortierte eine angeschlagene Sauciere und zwei Teller mit Rissen aus. Sie rollte den abgetretenen Perser unten im Flur zusammen und ersetzte ihn durch einen neuen Teppich aus Seegras und Leder.
»Hast du abgenommen?«, fragte Cecilia West sie beim Mittagessen in Wellfleet. »Du siehst so dünn aus, und du warst in letzter Zeit auch so still.«
Katy Diamond, die dritte im Bunde, beäugte sie kritisch. »Stimmt«, meinte sie. »Du siehst wirklich dünn aus.«
»Eine Magen-Darm-Geschichte«, behauptete Claire, faltete die Serviette auf ihrem Schoß auseinander und schob den Salzstreuer von sich weg. Am liebsten hätte sie ihn gepackt und zu Boden geschleudert.
»Frauenprobleme?«, fragte Cecilia, und noch bevor Claire widersprechen konnte, legte Katy ihr die Hand auf den Arm und drückte ihn mitfühlend.
»Ich hab gehört, dass die Frauen in Europa in solchen Fällen Gerstenwasser trinken«, erklärte Katy.
Claire blickte sie kühl an und schüttelte ihre Hand ab. Katy hatte zu Hause ein kleines Kind, und das zweite war bereits unterwegs. Die konnte offensichtlich trinken, was auch immer sie wollte.
Claire schob das Kinn vor und griff nach der Speisekarte, die ihr der Kellner reichte. »Na ja, dann passe ich diesen Sommer wenigstens in meinen Badeanzug«, bemerkte sie mit einem Blick auf Katys runden Bauch und schlug die Karte auf. »Außer natürlich, ich nehme noch mehr ab und er ist mir irgendwann zu groß. Vielleicht hättest du ihn dann gern?«
Katy lief vor Wut rot an und starrte auf ihren Teller.
»Wo hast du denn nur gesteckt?«, quiekte Agnes Greene, als Claire endlich wieder zu den Treffen des Büchereikomitees erschien. »Ohne dich fehlten uns wirklich die Ideen für den Lesecocktail beim August-Benefiz. Was meinst du? Sollen wir da Sidecar-Cocktails anbieten oder nicht?«
Claire hätte Agnes am liebsten an den Kopf geschleudert, dass sie ihretwegen ruhig in Katy Diamonds Gerstenwasser ertrinken konnte, aber das Geplapper der Frau war gnadenlos, und bald fühlte sie, wie eine Welle aus Stoffmustern für Baumwolltischdecken sie mit sich riss, und Pläne für eine Shoppingtour nach Boston und die Diskussion darüber, ob verheiratete Frauen Miniröcke tragen sollten, über sie hinwegrollte. Claire schloss die Augen. An anderen Orten waren die Proteste gegen den Vietnamkrieg in vollem Gange, und der Mensch hatte den Mond betreten, aber hier in Prospect, so schien es, blieb das Leben auf Erden ewig gleich.
Als Claire in jenem Jahr beobachtete, wie sich das Holz für das Dezemberfeuer auftürmte, fühlte sie sich so zerbrechlich wie die Äste und Zweige, die dort zusammengetragen wurden. Wenn sie morgens an dem hölzernen Gerüst vorbeigaloppierte, verglich sie Tag für Tag den Fortschritt: Zunächst ging es ihr bis zur Hüfte, dann bis zur Taille, schließlich bis zur Schulter und dann reichte es sogar noch höher. Das Getöse des Aufbaus machte Icicle unruhig, und er hätte sie beinahe abgeworfen. Sie zerrte hart an seinen Zügeln, um ihn wieder unter Kontrolle zu bekommen, und ritt dann
Weitere Kostenlose Bücher