Das Geheimnis der Salzschwestern
frustriert nach Hause.
In ihrem Leben lief nichts so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Sie hatte der Marsch abgeschworen und wollte sich vom Glanz des Turner-Hauses blenden lassen, das aber längst nicht so elegant war, wie sich es sich ausgemalt hatte. In letzter Zeit fiel ihr außerdem auf, dass seltsame Dinge aus dem Haus verschwanden. Zunächst hing auf einmal das Porträt von Armistead Turner, dem Familienurahn, nicht mehr oben am Ende des Flurs. Claire war eines Morgens aufgewacht und hatte an der Wand ein leeres, dunkles Rechteck vorgefunden. Dann war das Porzellanservice an der Reihe gewesen, das sie immer zu Weihnachten benutzt hatten, und dann Idas diamantenbesetzte Kropfkette, die Claire nie hatte tragen dürfen. Zunächst dachte sie ja noch, dass die Sachen vielleicht restauriert wurden, als aber Monate verstrichen, ohne dass sie wieder auftauchten, kam ihr ein ganz anderer Gedanke.
Es stimmte zwar, dass sich Whit gelegentlich äußerst großzügig erwies – wie bei der Sache mit Icicle zum Beispiel –, aber im Allgemeinen war er bei Haushaltsausgaben ziemlich knausrig und regte sich darüber auf, wenn Claire sich wie ihre reichen Freundinnen Tennisstunden oder Reisen nach Europa leisten wollte. Dann konnte er ziemlich aufbrausend werden. »Mein Gott, Claire, was glaubst du denn? Ich bin doch kein Goldesel!« Doch genau das hatte Claire eigentlich gedacht. Er war doch Idas Sohn, oder etwa nicht? Ihr Fleisch und Blut mit all den Turner-Genen. Geld hatte Whit zu dem gemacht, was er war. Da war es doch auch nur logisch, dass er im Gegenzug auch selbst gut Geld scheffelte. Claire konnte überhaupt nicht verstehen, warum um alles in der Welt er sich Gedanken um die Salt Creek Farm machte. Er war doch mit ihr und Jo zusammen aufgewachsen und wusste aus erster Hand, wie karg das Leben draußen in der Marsch war. Sie würde auf gar keinen Fall dorthin zurückkehren.
Als Claire dabei zuschaute, wie in der Stadt letzte Hand an den Scheiterhaufen gelegt wurde, kam ihr eine Idee. Wenn Whit sah, wie albern der Glaube der Menschen an das Salz wirklich war, würde er seine Pläne mit der Marsch vielleicht endlich aufgeben. Offensichtlich hatte ihre Behauptung, das Zeug sei vergiftet, die Macht des Salzes über die Stadt nicht brechen können. Chet Stone und seine Kumpel schlugen Claires Andeutungen und Warnungen komplett in den Wind, und sie wusste ganz genau, dass Leute wie Mr Upton noch immer einen kleinen Vorrat auf Lager hatten. Es war an der Zeit für drastischere Maßnahmen. »Ich will nicht, dass die Leute dieses Jahr wieder Salz beim Dezemberfeuer verbrennen«, erklärte sie Whit beim Abendessen.
Er sah sie regungslos an. Wenn Claire sich im Laufe der Ehejahre verändert hatte – ihre Knochen waren dünner geworden, ihr Haar hatte ein abgestumpfteres, weniger aufbrausendes Rot angenommen –, so hatte er sich auch verändert. Graue Strähnen durchzogen seine Schläfen, und seine Augen lagen tiefer in ihren Höhlen. Als Claire ihn betrachtete, fiel ihr ein, dass sie sich nicht daran erinnern konnte, wann sie das letzte Mal miteinander geschlafen hatten. Na ja, vor ihrer letzten Fehlgeburt, das war ihr klar, aber wann? Plötzlich durchfuhr bei ihr Hitze Unterleib und Schenkel und versetzte ihre Brust in Wallung. Whit bekam von ihrer Erregung jedoch nichts mit. Er säbelte an seinem Steak herum und behielt dabei die ganze Zeit die Uhr auf dem Kaminsims im Auge.
»Eine gute Idee«, fand er. »Je weniger fremde Leute mit dem Salz zu tun haben, umso besser. Ich rede mal mit der Polizei. Salz ist schließlich eine Chemikalie, oder? Es gibt doch bestimmt irgendwo eine Vorschrift, die das Verbrennen von chemischem Zeug im Freien verbietet.« Akkurat faltete er seine Serviette zweimal zusammen und legte sie auf den Tisch. Das restliche Steak lag als breiige Masse auf dem Teller. Claire wandte den Blick ab. Sie wusste, dass Whit seit ihrer Hochzeit vor sechs Jahren nicht mehr zum Dezemberfeuer gegangen war, aber im Gegensatz zu ihr hätte die Stadt ihn dort mit offenen Armen empfangen. Whit war allerdings kein Mann, der auf Bewunderung aus war – nicht einmal von seiner eigenen Frau, wie er deutlich machte, als er ohne flüchtigen Kuss oder auch nur einen Blick zurück das Zimmer verließ.
Am Abend des Feuers ließ Claire das Schlafzimmerfenster trotz der eisigen Winterluft offen, während sie auf Whit wartete und sich dabei die Haare bürstete – einhundert grausame Striche mit einer groben
Weitere Kostenlose Bücher