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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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Wildschweinbürste, Buße für ihre Schönheit. Durch den Spalt im Fenster bekam sie die erschaudernde Spannung angesichts des sich bildenden Rauches mit, und dann die aufregenderen Noten von Harz und Holz, die zu Asche wurden.
    Sie saß ganz still vor Idas Frisiertischchen und fröstelte in ihrem dünnen Nachthemd. Das elektrisierte Haar wallte ihr über den Rücken, und sie wartete, aber die vertrauten Laute – Flöten, das fröhliche Quietschen von Teenagern und das übliche Lachen, wenn Jo das Salz ins Feuer warf und helle Flammen friedlichen Blaus aufleuchteten – blieben aus. Stattdessen hörte Claire undeutliches Gemurmel und knirschende Schritte auf gefrorenem Gras, während sich ohne einen Mittelpunkt, der sie zusammenhielt, Grüppchen bildeten und wieder auseinandergingen. In ihrer Kindheit hatten sich Jo und sie an diesem Abend immer zusammen mit einer Wärmflasche ins Bett gekuschelt und sich zum Trost umarmt.
    Claire wartete auf die altbekannten Geräusche der Feier, die Nacht war aber dumpf und tot wie die vergiftete Atmosphäre unter einer Glasglocke. Ohne das Salz hatte das Feuer für die Leute seinen Reiz verloren. Claire konnte hören, wie die Bürger von Prospect nach und nach aufbrachen, sich trostlose Zweier- und Dreiergrüppchen abspalteten und über das mit Raureif bedeckte Gras von Tappert’s Green schlurften, in ihrer Tasche nach klimpernden Haustürschlüsseln suchten und sich der Tatsache fügten, dass sie dieses Jahr nach Hause gehen würden, ohne einen Blick in die Zukunft geworfen zu haben.
    Claire schloss das Fenster und kroch ins Bett. Sie wartete darauf, dass Whit auch kam, und rollte dann mit hochgeschobenem Nachthemd und halb geöffnetem Mund zu ihm hinüber, er schaltete jedoch nur das Licht aus, deckte sich zu und tätschelte ihr geistesabwesend den Arm. »Heute nicht«, sagte er. »Ich habe morgen ganz früh ein Meeting, es geht um ein Grundstück in der Nähe von Hyannis.« In Claires Magengrube zog sich alles zusammen, aber Whit war nun einmal ihr Ehemann, sie hatte sich für ihn entschieden, also löschte auch sie ihr Licht und streckte sich wie eine Tote neben ihm aus.
    Am nächsten Tag stand sie noch vor Sonnenaufgang auf, weil sie von einem Erstickungsanfall aus dem Schlaf gerissen wurde – ihr altes Asthma. Früher hatte ihre Mutter ihr in dieser Situation eine Schüssel mit heißem Salzwasser gebracht, ihr ein Handtuch über den Kopf gelegt und sie gezwungen, den Soledampf einzuatmen, jetzt griff sie aber nach ihrem Inhalator, um Whit nicht aufzuwecken.
    Als sie endlich wieder Luft bekam, schlüpfte sie aus dem Bett, zog sich rasch an und lief auf Zehenspitzen hinaus zum Stall hinter dem Haus, um Icicle zu satteln. Der Himmel wurde in diesem dämmrigen Moment zwischen Nacht und Tagesanbruch langsam heller, und bevor sie sich ’ s versah, galoppierte sie auch schon aus der Stadt, die Straße entlang und hinaus in die Marsch. Dort zügelte sie Icicle, bis er Schritt ging, und stieg bei den Binsen aus dem Sattel, genau an der Grenze zwischen der Straße und der Marsch. Es zog sie also zurück an den Ort, den sie doch so verabscheute.
    Sie schnaufte ein wenig, als sie durch die Binsen schritt und an der neuen Scheune vorbeikam. Sie betrachtete aufmerksam den Boden rund um das Gebäude, die Erde der Marsch war jedoch schneller verheilt als ihre Bewohner. Jegliche Spuren des Feuers – Verkohltes oder liegen gebliebene Asche – waren längst verschwunden, vom fruchtbaren Schlamm verschluckt worden.
    Sie wandte sich den Gräbern zu. Stein war das einzige Material, das hier draußen überdauerte, denn alles andere – Holz, Erde, Schlacke, selbst menschliche Knochen – war samt und sonders Futter für das Salz. Aus alter Gewohnheit wanderte Claire hinaus zum Wehr, an dem ihr Bruder vor so langer Zeit ertrunken war, und bemerkte, dass Jo bereits die Becken für den Winter geflutet hatte. Jetzt waren sie nur noch trübe Wasserflächen.
    Claire kehrte zu den Gräbern zurück und ließ sich daneben nieder. Sie bedauerte, dass sie nichts mitgebracht hatte, was sie ihrer Verwandtschaft als Gabe darbringen konnte, tot oder lebendig. Einen Moment lang überlegte sie nämlich, irgendetwas für Jo dazulassen, aber sie war mit leeren Händen zur Salt Creek Farm zurückgekehrt, hatte nicht einmal einen einzigen rostigen Penny dabei, und außerdem – was hätte sie ihrer Schwester denn anbieten können? Nichts erschien ihr angebracht. Eine Blume oder ein Blatt? Der Herbst hatte sie

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