Das Geheimnis der Salzschwestern
eine weiße Leinwand, auf die sie alles projizieren konnte, was hätte sein sollen. Sie sah zu, wie eine Welle heranschwappte und den Sand sauber wusch, aber in Claires Leben war nicht alles so ordentlich. Sie wurde die Gedanken in ihrem Kopf einfach nicht los.
Bevor sie womöglich noch etwas Unüberlegtes tat, ritt sie lieber durch die Dünen hinauf, band Icicle draußen an der Kirche an und öffnete die Türen zum Gotteshaus. Still trat sie hinein und redete sich ein, dass sie Ethan gar nicht sehen wollte, sondern nur ein Ave Maria sagen und eine Kerze anzünden, ehe sie auch schon wieder gehen würde. Da war doch nichts dabei. Vielleicht würde sie Ethan nicht einmal antreffen.
Er war aber doch da – er kniete vor dem Altar und streckte die Hände seitlich aus, ließ den Kopf aber nicht hängen, so wie Claire es erwartet hätte, sondern hatte ihn in den Nacken geworfen und entblößte so seinen Hals, als würde er sich als Opfer darbieten. Wie gelähmt stand Claire auf der Türschwelle. Sie hatte noch nie einen so verletzlichen Mann gesehen, und die Szene kam ihr beinahe obszön vor. Oder sie wäre ihr zumindest so vorgekommen, wenn Ethan nicht so zauberhaft ausgesehen hätte. Sie wollte sich schon wieder abwenden, tat es dann aber doch nicht. Stattdessen räusperte sie sich, Ethan zuckte zusammen und fuhr herum.
»Claire.« Seine Stimme war nach dem stummen Gebet noch immer schwerfällig. Das sagte ihr alles, was sie wissen musste. Ein Mann mit reinem Gewissen stolperte nicht so über seine Zunge. Einmal Sünder, immer Sünder, dachte sie, als sie auf ihn zuging und sich das Haar aus dem Knoten schüttelte, zusammen mit dem letzten Rest Zurückhaltung, der ihr noch geblieben war.
Später würde sie Unserer Lieben Frau, die kein Gesicht hatte und deshalb nicht vor Scham erröten konnte, die Schuld für alles geben. Sie war eine schlechte Anstandsdame für zwei von der Liebe geblendete Sterbliche. Aber was zwischen Ethan und Claire passierte, war nur allzu menschlich, und es war ausschließlich Claires eigene Schuld.
Sie war mit Sicherheit nicht mit dem Vorsatz nach St. Agnes gekommen, Ethan zu verführen. Das redete sie sich zumindest ein. Aber als sie dann so vor ihm stand, konnte sie nicht länger gegen den Sog ankämpfen, der von ihm ausging, und bevor sie sich’s versah, war sie ihm so nahe gekommen, dass sie seine warme Haut spüren konnte.
»Claire«, ächzte Ethan wieder, und dieses Mal war es eine leise Warnung. Er versuchte, sich von ihr zu lösen, in seinen Augen stand jedoch die gleiche Frage wie in ihren, und bevor er es verhindern konnte, hatte Claire auch schon die Hände ausgestreckt und umarmte ihn.
»Du spürst es doch auch, das weiß ich«, murmelte sie. »Das musst du einfach.« Ihr Herz klopfte, als sie spürte, wie er erstarrte, und dann durchfuhr sie Glückseligkeit, als auch er seine Arme um sie schlang. Wäre das wohl jeden Tag so gewesen, fragte sie sich und dachte zurück an die raue Erregung, die sie beim Sex mit Whit verspürt hatte. Wäre das Leben so sanft gewesen? Sie unterdrückte ein Schluchzen. Vielleicht hätte sie dann auch das Kind austragen können, nach dem sie sich so sehr sehnte.
Zunächst reichte es ihr, einfach nur wieder von Ethan umarmt zu werden, aber Claire war noch nie mit dem zufrieden gewesen, was Gott, der Herr, ihr schenkte, also streifte sie Ethans Hals mit den Lippen. Er zuckte zusammen, aber bald tauchte auch er wieder in die Vergangenheit ein und verlor jeglichen Willen, sich von ihr zu lösen. Sie fuhr mit dem Mund an seinem Kiefer entlang, bis ihre Lippen sich trafen und er ihre Küsse erwiderte. Seine Hand wanderte von ihrer Taille hinab zu den Hüften und streichelte sie an Stellen, die keine Priesterhand je berühren sollte.
»Nicht hier«, flüsterte er, zog sie mit sich durch die Kirche und in die dunkle Sakristei. Gemeinsam waren sie wieder achtzehn, unter dem Birnbaum ineinander verschlungen, und Claire roch noch immer nach Salz, Ethan nach dem Meer.
Zu Beginn waren seine Lippen noch ganz sanft, doch dann wurden seine Küsse intensiver. Claire schob den Saum ihres Rockes hoch und legte die Hände auf seinen Bauch. Sie erinnerte sich daran, wie sie dies das erste Mal getan hatte und wie sich seine Haut angefühlt hatte. Als Reaktion darauf schob er sie gegen ein Regal, presste seine Hüfte gegen ihre und zog ihr Hemd hoch.
»Hier auch nicht«, keuchte er irgendwann. »Nicht, Claire.« Bevor er es sich womöglich noch einmal anders
Weitere Kostenlose Bücher