Das Geheimnis der Salzschwestern
Ethan griff jetzt nach seinen Kleidern. Er blickte ihr bei seinen Worten nicht ins Gesicht. »Ich wollte nicht wieder herkommen, Claire. Ich habe alles versucht, damit sie mich woandershin schicken.«
Das ließ sie sich durch den Kopf gehen. »Vielleicht sollte das hier eine zweite Chance für uns werden. Vielleicht hat Pater Flynn das geahnt und gerade deshalb nach dir verlangt.«
Ethan seufzte schwer. »Ich weiß nicht, Claire. Nun muss ich beten und ergründen, was mein Herz mir sagt. Dafür brauche ich Zeit, um mir über das alles klar zu werden. Ich wünschte, ich könnte dir einfach sagen, was du hören willst, aber das geht nicht.«
»Und warum können wir nicht einfach so weitermachen?« Sie deutete auf den Sand, der sie umgab, aber darauf hatte er keine Antwort.
»Claire«, sagte er schließlich. Seine Stimme war ihr so vertraut wie ihr eigener Herzschlag.
»Ja?«
Er streckte die Finger aus und griff nach ihrem Handgelenk. »Bevor du gehst, muss ich dir noch etwas beichten. Whit hat bei seinem Besuch gestern Dinge gesagt, die mir gar nicht gefallen haben.«
Sie schürzte die Lippen und wartete.
Ethan zögerte, so als sei er nicht sicher, ob er es aussprechen würde, dann seufzte er. »Er meinte, dass du seinetwegen ruhig aufs Gut zurückkehren und Dee mitnehmen kannst. Aber dann hat er mich auch daran erinnert, was passiert, wenn Salz in alte Wunden gerät.«
Trotz Ethans warmer Haut fuhr es Claire kalt den Rücken hinunter. »Was denn?«
Sein Blick bohrte sich in den ihren. »Es brennt. Wenn du nicht aufpasst, so hat er es formuliert, endest du womöglich noch wie Jo. Völlig verbrannt.«
Eine Möwe kreischte über ihren Köpfen, und Claires Herz begann zu pochen. Sie löste sich von Ethan und suchte nach ihren Schuhen. Sie verlieh ihrer Stimme einen betont fröhlichen Klang: »Lass das mal meine Sorge sein.«
Ethan betrachtete sie misstrauisch, als müsste er plötzlich an das berühmte Temperament der Gilly-Frauen denken.
»Vielleicht hätte ich dir das gar nicht erzählen sollen.« Er verstummte kurz. »Du tust doch nichts Unüberlegtes, oder?«
Macht er sich jetzt meinetwegen oder seinetwegen Sorgen, fragte sich Claire. Sie band sich das lose Haar wieder zusammen und sah ihn dann an. »Nein, natürlich nicht. Aber das ist eine Sache zwischen Whit und mir.« Was natürlich nicht stimmte. Wenn es um die Gillys und die Turners ging, war nichts je so klar und eindeutig, das war aber auch gut so, fand Claire, denn wenn Whit sie brennen sehen wollte, dann sollte er doch kommen und neben ihr im Feuer tanzen.
Claire stand unter dem Birnbaum und sah auf die Uhr. Es war erst neun Uhr morgens, und heute war Donnerstag. Whit war jetzt zum Tennisspielen in Wellfleet und würde erst in einer Stunde wieder zurück sein. Über ihr türmte sich das Turner-Haus mit seiner verwirrenden Ansammlung aus Veranden und Balkonen auf. Sie atmete tief durch und trat dann aus dem Blätterdach hinaus in die Sonne. Während sie Plover Hill hinauflief, versuchte sie die ganze Zeit das Gefühl abzuschütteln, dass sie jemand beobachtete. Diesen Eindruck hatte sie früher oft gehabt. Das ging im Schatten des Turner-Hauses jedem so, es war Teil der ganzen Turner-Erfahrung.
Unter dem Hortensientopf neben der Küchentür war noch immer ein Zweitschlüssel versteckt – nicht sehr originell, aber Schlösser waren für Whit sowieso nur reine Formalität. In Prospect standen ihm ohnehin alle Türen offen.
Sie schloss die Küchentür auf und sog das vertraute Aroma nach gemahlenem Kaffee und dem Zitronenwachs in sich ein, mit dem sie immer die Arbeitsflächen poliert hatte. Und da war noch ein anderer Geruch – nach irgendetwas sehr Sauberem, das beinahe an Ozon erinnerte –, den sie aber noch nie identifizieren konnte. Bleiche vielleicht oder Wäschestärke? Es roch beinahe wie ein Dollarschein, nur dass Turner-Geld ziemlich dreckiges Geld war.
Sie hielt einen Moment inne und lauschte ihrem klopfenden Herzen. Wer konnte schon sagen, was Whit wohl tun würde, wenn er sie hier erwischte? Die Polizei rufen? Sie würgen, wie er es bei Dee gemacht hatte? Andererseits lag er völlig falsch, wenn er glaubte, dass sie wegen all seiner Drohungen vor Angst erzitterte. Im Verlauf der letzten drei Monate war der Schlamm auf der Salt Creek Farm so mit ihr verschmolzen wie das Netz aus Narben, das Jos rechte Körperhälfte überzog, und verlieh ihr neue Kraft. Anders als bei Jo befanden sich die Wunden bei Claire auf der Innenseite des
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