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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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und wurde dann zu einem einzigen gelben Punkt. Claire legte schützend die Hand darum und kniete sich vor die gesichtslose Jungfrau. Sie dachte daran, mit welch ruhiger Überlegenheit sich die Muttergottes jahrelang die Freuden und Sorgen der Stadt angehört hatte, und dann dachte sie an Jo und Ida und daran, dass manches für Worte einfach zu schmerzhaft war. Claire erhob sich, trat näher an die Wand heran und streckte die Arme aus wie die Jungfrau. Sie hatten eine ähnliche Figur und waren fast gleich groß. Claire schloss die Augen und sog den Geruch von Staub und Gips in sich ein. So rochen wohl Knochen, nachdem sie im Grab zerfallen waren.
    Der Wind heulte plötzlich ein wenig schriller, und eine Tür flog auf. Claire öffnete die Augen und entdeckte Ethan auf der anderen Seite des Gotteshauses. Sie atmete keuchend ein und löste sich von dem Bildnis, wobei sie die Kerze zu ihren Füßen umwarf. Ethan eilte herbei, um die Flamme auszublasen, bevor sie noch Schaden anrichtete.
    »Claire, was machst du denn hier? Ich dachte, du wärst beim Dezemberfeuer. Außerdem zieht da draußen ein schlimmer Sturm auf.« Sie nahm Ethan die erloschene Kerze aus der Hand und sah aus dem Ostfenster der Kirche. Er hatte recht. In der kurzen Zeit ihrer Andacht hatten sich die Wolken zu wütenden Hengsten geballt, die über den Himmel galoppierten, und der Wind nahm zu, um sie einzuholen. In etwa einer Stunde würde das Wetter über sie hereinbrechen wie eine Stampede. In ihrer Magengrube zog sich alles zusammen. Würde das Dezemberfeuer trotzdem zum Leben erwachen? Würde Whit dennoch bei der Scheune erscheinen? Er musste einfach kommen. Davon hing alles ab.
    Ethan führte sie am Ellbogen hinüber zu den Kirchenbänken. »Ist bei dir alles in Ordnung? Du bist ganz grün geworden.« Er hob die Hand, um sie an der Wange zu berühren, riss sich dann aber zusammen, und Claire wandte sich von ihm ab. Nach den Feiertagen würde er fortgehen. Seit ihrer Begegnung an jenem Tag im Sommer waren sie sich so gut wie möglich aus dem Weg gegangen. Ethan wusste noch gar nicht, dass Icicle tot war, fuhr es Claire auf einmal durch den Kopf, und er ahnte auch nichts von den Plänen, die sie mit Jo zusammen geschmiedet hatte. Er hatte keine Ahnung, dass Claire objektiv betrachtet eine Schwester verloren hatte, sie die Familienbande dann aber neu geschmiedet hatten. Vielleicht wusste er nicht einmal, dass Jo und sie der Stadt das Salz zurückgegeben hatten.
    »Es geht mir gut.« Ihre Stimme klang härter als beabsichtigt und zerschnitt die Luft zwischen ihnen, aber sobald die Worte einmal heraus waren, gab es kein Zurück mehr. Bei Ethan fand sie einfach kein Mittelmaß. Entweder stand sie in seinen Armen in Flammen, oder sie musste sich bei ihm kühl geben wie ein Eisberg. Claire schlug die Hände vors Gesicht und unterdrückte ein Schluchzen. »Oh Gott, nein, es geht mir nicht gut, aber ich darf nicht darüber sprechen.«
    Ethan runzelte die Stirn. »Gibt es da irgendetwas, was du gern beichten würdest?« Claire schüttelte den Kopf, und Ethan senkte den seinen. »Ich bin doch auch nicht besser als du, Claire«, sagte er leise. »Wenn es da etwas gibt, das ich wissen sollte, dann kannst du es mir wirklich anvertrauen.«
    Sie sehnte sich danach, sich an ihn zu schmiegen. Er konnte sie vergessen lassen, dass sie eine Gilly war, auf ewig verflucht durch ein Fleckchen Erde. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Sie hatte ja nie erwartet, dass er nach Prospect zurückkommen würde, aber da war er nun, der Junge, an dessen Herzschlag sie sich noch immer erinnerte, herangewachsen zu einem Mann, den sie nicht lieben durfte. Hatte Ida – Jos Mutter, wie Claire sie nun zum ersten Mal in Gedanken nannte – wohl dasselbe durchgemacht? Claire wandte sich wieder Unserer Lieben Frau zu. Die Vergangenheit würde immer zwischen ihr und Ethan stehen wie ein leerer Kreis, den niemand durchbrechen konnte.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie, stand auf, schob sich aus der Bank und hielt auf die Tür zu.
    Ethan erhob sich, um ihr hinterherzulaufen. »Claire, geh doch bitte nicht, nicht so.«
    Sie drehte sich zu ihm um. Den Ausdruck auf seinem Gesicht würde sie ihr Lebtag nicht vergessen. »Ich liebe dich, Ethan«, erklärte sie. »Und so wird es immer sein. Aber du hast recht. Das alles muss jetzt aufhören.« Sie legte die Hand an die Tür.
    Ethan runzelte die Stirn. »Redest du da immer noch über uns?«
    Claire schob die Tür weit auf, die sie vor den Elementen

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