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Das Geheimnis der Salzschwestern

Das Geheimnis der Salzschwestern

Titel: Das Geheimnis der Salzschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tiffany Baker
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als sie sich dem verblassten und angeschlagenen Bildnis Unserer Lieben Frau näherten.
    »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Claire, während sie die Farbdosen aus dem mitgebrachten Rucksack herausholten und öffneten.
    Jo streckte ihr einen Pinsel entgegen und wartete, bis Claire Jordy hingelegt hatte. »Wir tun das Richtige, das weißt du«, versicherte sie, und Claire öffnete das Medaillon mit Dees Fotografie.
    Dann nahm sie den Pinsel in die zitternde Hand. »Du hast recht«, nickte sie und fügte dann hinzu: »Ich habe der Jungfrau einst versprochen, dass ich ihr das Gesicht zurückgebe, wenn ich einen Sohn bekomme.« Mit Tränen in den Augen ließ sie den Kopf hängen. »Ich wünschte nur, es wäre auf andere Art und Weise gewesen.«
    »Ich weiß.« Jo legte ihre Hand auf die von Claire und führte den Pinsel zur Wand. Die Wangen der Muttergottes malten sie in einem Cremeton, den sie zunächst in kleinen Tupfen und dann immer großflächiger auftrugen.
    Möge sie stets Gottes Gnade versichert sein, dachte Jo, als Dees Züge Form anzunehmen begannen, und ihre Seele dem Salz verbunden.
    Es war nur ein kurzes Gebet – nachdem sie jahrelang keinen Fuß in die Kirche gesetzt hatte, war Jo ein wenig aus der Übung –, aber sie hatte ihr Bestes gegeben, und die Fürbitte kam von Herzen. Vielleicht, hoffte sie, wurde sie ja noch rechtzeitig erhört.

K APITEL 31
    E igentlich, überlegte Claire, hatte die Salt Creek Farm ja so gar nichts von einem Wallfahrtsort. Der Wind fegte hier über sumpfiges Land, das Batisranken überwucherten, in der Scheune wartete kein Heiligenschein, und auch auf der schiefen Veranda suchte man vergeblich nach Götzen, vor denen man das Haupt senken konnte. Hier wurde weder Segen erteilt, noch konnte man Amulette erwerben. Es gab nur Morgen voller Salz und Sand, so weit das Auge reichte. Und außerdem Jo, deren Körper zwar zur Hälfte mit Narben übersät war, die an den entscheidenden Stellen aber völlig in Ordnung war.
    Und trotzdem pilgerten Menschen von so fernen Orten wie Tokio oder Paris herbei. Einige der Besucher waren kulinarische Experten, sie führten Sternerestaurants oder schrieben preisgekrönte Kolumnen übers Essen. Andere waren in der Lebensmittelindustrie tätig, arbeiteten für riesige Konzerne, und wieder andere nahmen sich gerade eine Auszeit, um sich selbst zu finden. Vor kurzem war ein völlig verzweifelter Koch da gewesen, der seinen Geschmackssinn verloren hatte. Pastis, Bouillon, Foie gras – für ihn schmecke alles gleich, hatte er geklagt, in seinem Mund sei die Welt nur noch ein Schutthaufen. Jo und Claire hatten drei Tage Ende August mit ihm verbracht, in der produktivsten Zeit des Jahres, dem letzten Schub der Saison, und danach hatte er nicht nur seine feine Zunge wiedererlangt, sondern auch noch ein komplettes Notizheft mit brandneuen Rezepten vollgekritzelt.
    Die Resultate waren allerdings nicht für alle so positiv. Jo begrüßte jeden neuen Besucher auf der Veranda mit einem Silberlöffel voll Salz und ihren Regeln (die Bassins in Ruhe lassen, kein Alkohol, nicht allein in der Marsch herumlaufen und vor allem kein sinnloses Geplapper) und stellte ihm dann drei einfache Fragen: Was ist Ihre früheste Erinnerung? Wen lieben Sie? Was wollen Sie hier finden?
    Einige der Besucher probierten die angebotenen Körnchen und flohen mit stechendem Gaumen. Andere verpatzten die Antworten, und wer schließlich bleiben durfte, bekam statt eines gemütlichen Bettes und Unterhaltungsprogramm eine klumpige Matratze und lange Nachmittage allein mit seinem Schatten.
    Am ersten Kurstag baute Claire vor den Teilnehmern ein Sammelsurium von Schüsseln mit verschiedenen Salzmischungen auf und stellte sie vor die Wahl. »Suchen Sie sich eins aus, das Ihnen gefällt«, forderte sie sie auf, denn beim Salz bestand die erste Hürde darin, loslassen zu können. Wenn jemand herumstammelte oder für die Antwort zu lange brauchte, dann musste er sich neu entscheiden, bis das Salz schließlich seine Zunge löste und die Worte nur so hervorpurzelten.
    »Beim Salz muss man nehmen, was man kriegen kann«, mahnte Claire ihre Schüler. »Da darf man nicht wählerisch sein. Wenn die Sole eisenhaltig ist und rostbraun wird, dann muss man eben damit arbeiten.«
    Noch wussten sie nicht, welch hohen Preis man für sein Glück zahlte, Claire hingegen hatte diese Lektion in- und auswendig gelernt und würde sie an ihre Schüler weiterreichen. Die konnten sich noch gar nicht

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