Das Geheimnis der Schnallenschuhe
erst dann – konnte er weitermachen.
Eine Woche danach, spät am Abend, kam der Anruf. Japps Stimme am Telefon klang schroff.
«Sie sind da, Poirot? Wir haben sie gefunden. Es wäre gut, wenn Sie herkämen. King Leopold Mansions, Battersea Park. Appartement Nummer 45.»
Eine Viertelstunde später setzte ein Taxi Poirot vor den King Leopold Mansions ab.
Das war ein großer Block von Etagenwohnungen, die alle auf den Battersea Park hinausgingen. Nummer 45 lag im zweiten Stock. Japp öffnete persönlich die Tür. Sein Gesicht durchzogen grimmige Falten.
«Kommen Sie herein», sagte er. «Sie ist nicht besonders schön anzuschauen, aber ich nehme an, Sie wollen sie selbst sehen.»
Poirot fragte – aber es war eigentlich keine Frage: «Tot?»
«Man kann es wohl mausetot nennen.»
Poirot neigte den Kopf zur Seite und lauschte auf ein wohl bekanntes Geräusch, das hinter einer Tür zu seiner Rechten hervordrang.
«Das ist der Portier», sagte Japp. «Übergibt sich gerade. Ich musste ihn zur Identifizierung heraufholen.»
Er führte Poirot den Korridor entlang. Poirot rümpfte die Nase.
«Nicht erfreulich», sagte Japp. «Aber was soll man machen? Die Frau ist seit mehr als einem Monat tot.»
Der Raum, den sie betraten, war eine kleine Rumpel- und Kofferkammer. In der Mitte stand eine große, metallene Truhe, wie man sie zur Aufbewahrung von Pelzen hat. Der Deckel war geöffnet.
Poirot trat vor und schaute in die Truhe. Als erstes sah er den Fuß – mit einem abgetragenen Schuh bekleidet, auf dem eine Schnalle befestigt war. Das erste, was er von Miss Sainsbury Seale erblickt hatte, war – fiel ihm ein – eine Schuhschnalle.
Sein Blick wanderte über den Rock und die Jacke aus grünem Wollstoff bis hinauf zum Kopf. Er gab ein undeutliches Geräusch von sich.
«Ich weiß», sagte Japp. «Sieht schauderhaft aus.»
Das Gesicht war dermaßen zugerichtet, dass sein ursprüngliches Aussehen nicht mehr zu erkennen war. Berücksichtigte man noch den natürlichen Verwesungsprozess, so war es kein Wunder, dass die beiden Männer leicht erbsengrün aussahen, als sie sich schließlich abwandten.
«Das», brummte Japp, «gehört zum Beruf – zu unserem Beruf. Keine Frage: Manchmal ist unsere Arbeit lausig. Nebenan ist noch ein Tropfen Cognac. Sie sollten etwas davon trinken.»
Das Wohnzimmer war modern und elegant eingerichtet: viel Chrom und ein paar mächtige, eckige Polstersessel, bezogen mit blass rehbraunem, geometrisch gemustertem Stoff.
Poirot fand die Karaffe und goss sich einen Cognac ein. Er trank ihn aus und schüttelte dann den Kopf.
«Das war nicht schön, gar nicht schön! Jetzt erzählen Sie, lieber Freund.»
«Die Wohnung gehört einer Mrs Albert Chapman. Mrs Chapman ist, wie ich höre, eine hübsche Blondine in den Vierzigern. Zahlt ihre Rechnungen pünktlich, spielt gern mit den Nachbarn Bridge, lebt aber mehr oder weniger zurückgezogen. Keine Kinder. Mr Chapman ist Geschäftsreisender. Die Seale ist am Abend unserer Unterhaltung mit ihr hierher gekommen, etwa um Viertel nach sieben – also vermutlich auf direktem Weg vom Glengowrie Court Hotel. Wie der Portier sagt, war sie schon vorher einmal da. Sie sehen: Alles klar und einwandfrei – ein netter, freundschaftlicher Besuch. Der Portier fuhr Miss Sainsbury Seale im Lift hinauf. Er sah noch, wie sie vor der Wohnungstür stand und auf die Klingel drückte.»
Poirot bemerkte: «Da hat er sich aber reichlich Zeit gelassen, bis ihm das eingefallen ist!»
«Er lag anscheinend mit einer Darmerkrankung im Spital, und ein anderer Portier musste ihn in dieser Zeit vertreten. Erst vor ungefähr einer Woche will er in einer alten Zeitung die Personenbeschreibung der verschwundenen Seale entdeckt und zu seiner Frau gesagt haben: ‹Hört sich an wie die Dame, die damals zu Mrs Chapman im zweiten Stock auf Besuch gekommen ist. Jedenfalls hat die ein grünes Wollkleid angehabt und Schnallenschuhe.› Und nach einer weiteren Stunde hat er gesagt: ‹Und ihren Namen hat sie mir doch auch gesagt, sie hieß tatsächlich Miss Sowieso Seale.›»
«Hinterher», fuhr Japp fort, «hat er vier Tage gebraucht, um seine natürliche Abneigung gegen eine Fühlungnahme mit der Polizei zu überwinden und mit seiner Aussage zu uns zu kommen. Wir haben erst nicht recht geglaubt, dass es zu etwas führen würde. Sie haben keine Ahnung, wie oft wir falschen Alarm bekommen haben. Immerhin habe ich Sergeant Beddas hierher geschickt – das ist ein aufgeweckter
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