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Das Geheimnis Der Schönen Toten

Das Geheimnis Der Schönen Toten

Titel: Das Geheimnis Der Schönen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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einer solchen Stelle ungestört ruhen zu lassen; ein weniger wirkungsvoller Pflug hätte keine so enge Kurve beschreiben können, um sie zu erreichen, und auch das Kolter wäre nicht tief genug in das Erdreich und damit in das heimliche Grab eingedrungen.
    Cadfael betastete die freigelegten Fetzen schwarzen Stoffs und spürte die Knochen darunter. Der lange Schnitt des Kolters hatte die jenseits des Erdwalls liegende Seite von der Mitte bis zum Kopf aufgeschlitzt, wo es mit den Fäden auch die dichte Haarsträhne ans Tageslicht gezerrt hatte. Cadfael wischte dort, wo das Gesicht sein mußte, das Erdreich zur Seite. Der Leichnam war von Kopf bis Fuß in verrottenden Wollstoff gewickelt, in eine Art Umhang, doch es konnte kein Zweifel mehr bestehen, daß es ein menschliches Geschöpf war, das hier heimlich unter die Erde gebracht worden war. Gesetzwidrig, hatte Radulfus gesagt. Gesetzwidrig begraben, gesetzwidrig vom Leben zum Tode befördert.
    Mit den Händen schaufelten sie geduldig das Erdreich zur Seite. Es bedeckte den unverkennbaren Umriß eines Menschen. Sie arbeiteten sich unter dem Leichnam behutsam vor, um ihn aus seinem Bett herauszubekommen, hoben ihn aus dem Grab und legten ihn ins Gras. Leicht, schlank und zerbrechlich kam er ans Licht. Er mußte mit angehaltenem Atem und äußerst behutsam berührt und getragen werden, da die Wollfaden bei jeder Berührung zerbröselten und sich auflösten. Cadfael schlug vorsichtig die Stoffalten zur Seite, so daß die verwitterten Überreste entblößt wurden.
    Gewiß eine Frau, denn sie trug ein langes dunkles Gewand ohne Gürtel und ohne Schmuck. Seltsamerweise hatte es den Anschein, als hätte man ihr den langen Rock sorgfältig glattgezogen und in ordentliche Falten gelegt, die immer noch durch den Umhang bewahrt wurden, in den man sie vor der Beisetzung eingewickelt hatte. Das Gesicht war von allem Fleisch entblößt, und die Hände, die aus den langen Ärmeln hervorlugten, waren nichts als Knochen, wurden jedoch durch die Umhüllung zusammengehalten.
    An den Handgelenken und den entblößten Fesseln fanden sich Spuren getrockneten und zusammengeschrumpften Fleisches. Das einzige, was an ihr noch an ihre frühere Lebensfülle erinnerte, war der üppige, schwarze, geflochtene Haarschopf, aus dem das Kolter neben ihrer rechten Schläfe eine aufgelöste Strähne herausgezogen hatte. Seltsamerweise hatte man die Frau offenbar für die Beisetzung ausgestreckt, wie es sich gehörte, und ihre Hände waren hochgezogen und auf der Brust gefaltet. Noch seltsamer war, daß sie ein einfaches Kreuz umklammert hielt, ein Kreuz aus zwei zurechtgeschnittenen Holzstäbchen, die mit einem Streifen Leinentuch zusammengebunden waren.
    Cadfael zog die Ränder des verrotteten Tuchs behutsam wieder über den Schädel, von dem das dunkle Haar in so sonderbar anmutender Fülle aufwallte. Als ihr totenkopfähnliches Gesicht bedeckt war, wurde die Frau noch ehrfurchtgebietender, und alle vier Männer traten ein wenig zurück, um sie in ehrerbietiger Verwunderung anzustarren, denn angesichts eines so gefaßten und schmucklosen Todes schienen Mitleid und Entsetzen gleichermaßen fehl am Platz zu sein. Die Männer spürten nicht einmal so etwas wie den Willen, sich zu fragen oder einzugestehen, was an ihrer Beisetzung an dieser Stelle so sonderbar war, noch nicht; die Zeit dafür würde noch kommen, doch jetzt nicht, nicht hier. Erst mußte vollbracht werden, was nötig war, ohne jeden Kommentar und ohne unziemliche Fragen.
    »Nun«, sagte Hugh trocken, »was nun? Fällt dies in meine Zuständigkeit, Brüder, oder in eure?«
    Bruder Richard, dessen Gesicht etwas grauer war als gewöhnlich, sagte zweifelnd: »Wir befinden uns auf Land der Abtei. Doch das hier befindet sich kaum in Übereinstimmung mit dem Gesetz, und das Gesetz ist Euer Aufgabenbereich. Ich weiß nicht, was sich der Herr Abt in einem so sonderbaren Fall wünschen wird.«
    »Er dürfte wünschen, daß wir die Leiche zur Abtei bringen«, sagte Cadfael mit Überzeugung. »Wer immer sie sein mag und wie lange sie hier schon ungesegnet begraben liegt, sie ist eine Seele, die erlöst werden muß, und wir sind ihr ein christliches Begräbnis schuldig. Das Land, von dem wir sie zu ihm bringen, gehört der Abtei, und er wird wünschen, daß sie auch wieder auf Land der Abtei begraben wird. Wenn«, sagte Cadfael mit Nachdruck, »sie empfangen hat, was wir ihr sonst noch schuldig sind, falls sich das überhaupt je feststellen

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