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Das Geheimnis Der Schönen Toten

Das Geheimnis Der Schönen Toten

Titel: Das Geheimnis Der Schönen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Trennung noch einmal wiedergesehen hat?«
    »Ja«, erwiderte Radulfus sofort. »Während der ersten Tage seines Noviziats hat er sie zweimal besucht, jedoch in Begleitung von Bruder Paul. Als Novizenmeister war Paul um den Seelenfrieden des Mannes besorgt, nicht weniger als um den der Frau, und er hat sein Bestes getan, um sie dazu zu bringen, Rualds Berufung anzuerkennen und ihr ihren Segen zu geben. Vergeblich! Doch er ist mit Paul losgegangen und mit Paul zurückgekehrt. Mir ist keine andere Gelegenheit bekannt, wann er sie gesehen oder gesprochen haben könnte.«
    »Hat er sich auch nie zur Arbeit aufs Feld begeben oder sonst etwas erledigt, was ihn in die Nähe des Ackers geführt hätte?«
    »Das alles liegt mehr als ein Jahr zurück«, erklärte der Abt vernünftigerweise. »Selbst Paul würde es schwerfallen zu sagen, wo Ruald in dieser ganzen Zeit gearbeitet hat. In der Zeit seines Noviziats muß er meist in Gesellschaft eines weiteren Bruders gewesen sein, wahrscheinlich von mehreren, wann immer er außerhalb der Klostermauern zur Arbeit geschickt wurde. Aber ich denke mir«, sagte er und erwiderte Hughs Blick nicht weniger fest, »daß Ihr den Mann selbst fragen wollt.«
    »Mit Eurer Erlaubnis, Vater, ja.«
    »Etwa jetzt, jetzt gleich?«
    »Wenn Ihr erlaubt, ja. Es dürfte noch nicht allgemein bekannt sein, was wir gefunden haben. Er sollte am besten unvorbereitet sein, ohne eine Vorwarnung erhalten zu haben, so daß er nicht das Bedürfnis spürt, uns zu täuschen.
    Das geschieht nur zu seinem Besten«, sagte Hugh mit Nachdruck, »falls er später in die Lage kommen sollte, sich verteidigen zu müssen.«
    »Ich werde ihn rufen lassen«, sagte Radulfus. »Cadfael, geh bitte zu ihm, und wenn der Sheriff einverstanden ist, kannst du ihn vielleicht gleich in die Kapelle bringen? Wie Ihr sagt, sollte er sich der Probe in Unschuld unterziehen, um seiner selbst willen. Und jetzt fallt mir etwas wieder ein«, sagte der Abt, »was er selbst gesagt hat, als dieser Landtausch zum ersten Mal besprochen wurde. Erde ist unschuldig, sagte er. Nur der Gebrauch, den wir von ihr machen, kann sie besudeln.«
    Bruder Ruald war ein Musterbeispiel an Gehorsam, dem Teil des Gelübdes, der Cadfael schon immer die größte Mühe gemacht hatte. Er hatte sich die Verpflichtung, jeden von einem Superior gegebenen Befehl »ohne Halbherzigkeit oder Murren« auf der Stelle zu befolgen, als wäre es ein göttlicher Befehl, zu Herzen genommen, und gewiß ohne nach dem »Warum?« zu fragen, das Cadfaels erster Instinkt war, inzwischen gezähmt, doch längst nicht vergessen. Auf Aufforderung Cadfaels, der ihm in der Dauer seiner Ordenszugehörigkeit voraus und ihm somit übergeordnet war, folgte ihm Ruald ohne jeden Einwand in die Leichenhalle. Über das, was ihn dort erwartete, wußte er nur, daß Abt und Sheriff gemeinsam seine Anwesenheit wünschten.
    Selbst auf der Schwelle der Halle, als er sich plötzlich der Gestalt auf der Totenbahre, den Kerzen sowie Hugh und Radulfus gegenübersah, die auf der anderen Seite des Steinquaders leise miteinander sprachen, zögerte Ruald keine Sekunde, sondern trat vor und wartete auf das, was man von ihm verlangte. Er bot ein Bild äußerster Demut und vollkommener Gelassenheit.
    »Ihr wolltet mich sehen, Vater.«
    »Du bist ein Mann aus dieser Gegend«, sagte der Abt, »und hast bis vor kurzem all deine Nachbarn gut gekannt.
    Du kannst uns vielleicht helfen. Wir haben hier, wie du sehen kannst, einen zufällig aufgefundenen Leichnam, und keiner von uns kann der Toten beim besten Willen einen Namen geben. Vielleicht gelingt es dir besser. Komm näher.«
    Ruald gehorchte und starrte vertrauensvoll auf die verhüllte Gestalt, als Radulfus das Tuch mit einer schnellen Bewegung zur Seite zog und die starr daliegenden Knochen und das fleischlose Gesicht mit seinen Locken dunklen Haars enthüllte. Zwar wurde Rualds Gelassenheit bei dem unerwarteten Anblick sichtbar erschüttert, doch die Wellen von Mitleid, Erschrecken und Kummer, die ihm übers Gesicht fuhren, waren nicht mehr als eine kurze Kräuselung des Wassers auf einem sonst ruhigen Teich, und er wandte nicht den Blick ab, sondern betrachtete die Tote aufmerksam von Kopf bis Fuß und blickte dann wieder zum Gesicht, als könnte er durch langes Hinsehen vor seinem geistigen Auge das Fleisch noch einmal herbeizaubern, das die nackten Knochen einst umhüllt hatte. Als er schließlich hochsah und den Abt anblickte, geschah es mit leichter Verwunderung

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