Das Geheimnis Der Schönen Toten
und resignierter Traurigkeit.
»Vater, hier gibt es nichts mehr, was ein Mann wiedererkennen und mit einem Namen belegen könnte.«
»Sieh noch einmal hin«, sagte Radulfus. »Da ist eine Gestalt, eine Körpergröße, Farbe. Dies ist eine Frau gewesen. Jemand muß ihr einmal nahegestanden haben, vielleicht ein Ehemann. Es gibt manchmal Möglichkeiten des Wiedererkennens, die nicht von den Gesichtszügen abhängen. Hat sie nichts an sich, was eine Erinnerung wachruft?«
Es gab ein langes Schweigen, während Ruald pflichtschuldig sorgfältig jeden Stoffetzen musterte, in den sie gehüllt war, sowie die gefalteten Hände, die immer noch das primitive Kreuz umklammert hielten. Dann sagte er eher voll Kummer, den Abt enttäuschen zu müssen, als aus Trauer über einen fernen Todesfall: »Nein, Vater. Ich bedaure sehr. Da ist nichts. Ist die Angelegenheit so gravierend? Gott sind alle Namen bekannt.«
»Wie wahr«, sagte Radulfus, »so wie Gott auch weiß, wo alle Toten beerdigt liegen, selbst die, die man insgeheim irgendwo verscharrt hat. Ich muß dir sagen, Bruder Ruald, wo diese Frau gefunden worden ist. Wie du weißt, sollte heute morgen mit dem Pflügen des Töpferackers begonnen werden. Bei der Wende nach der ersten Furche, unterhalb des Knicks und zum Teil durch Gebüsch verborgen, stieß das Ochsengespann der Abtei auf einen Fetzen wollenen Stoffs und eine Locke von dunklem Haar. Auf diesem Feld, das einst das deine war, hat der Herr Sheriff diese tote Frau exhumiert und herbringen lassen. Jetzt sieh noch einmal hin, bevor ich sie zudecke, und sag mir, ob es nichts gibt, was dir zuruft, wie ihr Name sein müßte.«
Als Cadfael Rualds scharfes Profil musterte, erschien es ihm, als würde dessen gefaßte Haltung nur in diesem Augenblick durch ein Erzittern aufrichtigen Entsetzens, ja der Schuld erschüttert, wenn auch einer Schuld ohne Angst, und zwar nicht der Schuld an einem leiblichen Tod, sondern an dem Tod einer Neigung, der er den Rücken gekehrt hatte, ohne auch nur einen Blick zurückzuwerfen.
Er beugte sich näher über die tote Frau, starrte sie aufmerksam an, und auf seiner Stirn und der Lippe brachen feine Schweißperlen aus. Das Kerzenlicht erfaßte ihren Glanz.
Dieses letzte Schweigen dauerte lange Augenblicke, bis er bleich und zitternd hochsah und dem Abt ins Gesicht blickte.
»Vater, Gott vergebe mir eine Sünde, die ich erst jetzt verstanden habe. Ich bereue zutiefst, was ich jetzt als schrecklichen Mangel in mir empfinde. Da ist nichts.
Nichts in mir ruft etwas wach. Ich empfinde nichts bei ihrem Anblick. Vater, selbst wenn dies tatsächlich Generys wäre, meine Frau Generys, würde ich sie nicht wiedererkennen. «
3. Kapitel
Etwa zwanzig Minuten später, im Empfangszimmer des Abts, hatte er seine Ruhe zurückgewonnen, die Ruhe der Resignation, selbst was seine eigenen Unzulänglichkeiten und Fehler betraf, aber er hörte nicht auf, sich anzuklagen.
»Um meiner selbst willen mußte ich mich gegen sie wappnen. Was muß das für ein Mann sein, der eine Zuneigung beendet, die ein halbes Leben gewährt hat, und schon nach einem Jahr nichts mehr empfindet? Ich schäme mich, so neben dieser Bahre stehen und die Überreste einer Frau ansehen zu können und sagen zu müssen: Ich kann es nicht sagen. Soviel ich weiß, könnte es auch Generys sein. Ich vermag nicht zu erkennen, weshalb sie es sein sollte oder wie es dazu kommen konnte, aber ebensowenig kann ich sagen: Es ist nicht so. In meinem Herzen habe ich keinerlei Regung verspürt. Und was die Augen und das Gemüt betrifft, was ist jetzt in diesen Knochen, das irgendeinem Mann etwas sagen könnte?«
»Es sei denn«, entgegnete der Abt streng, »insoweit es zu allen Männern spricht. Sie wurde in ungeweihter Erde begraben, ohne Riten und insgeheim. Von dort ist es nur ein kurzer Schritt zu der Schlußfolgerung, daß sie auf ebenso heimliche und ungesegnete Weise zu Tode gekommen ist, und zwar durch einen Menschen. Ich schulde ihr, wenn auch verspätet, Vorsorge für ihr Seelenheil, und von der irdischen Gerechtigkeit fordert sie Sühne für ihren Tod.
Du hast bezeugt, und ich glaube es, daß du nicht sagen kannst, wer sie ist. Doch da sie auf Land gefunden wurde, das einst in deinem Besitz war, neben dem Häuschen, aus dem deine Frau ausgezogen und in das sie nie zurückgekehrt ist, ist es nur natürlich, daß der Sheriff dir Fragen zu stellen hat. So wie er wohl noch vielen anderen Fragen zu stellen hat, bevor diese Angelegenheit
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