Das Geheimnis Der Schönen Toten
aufgeklärt ist.«
»Das ist sein gutes Recht«, sagte Ruald demütig, »und ich werde jede Frage beantworten, die man mir stellt.
Bereitwillig und wahrheitsgemäß.«
Und das tat er auch, sogar mit bekümmerter Bereitwilligkeit, als wollte er sich wegen seiner erst jetzt erkannten Versäumnisse gegenüber seiner Frau geißeln, weil er seine Erfüllung genossen, während sie nur das Gift der Bitterkeit und des Verlusts gekostet hatte.
»Es war recht, dem Ruf zu folgen, der mich erreichte, und zu tun, was mir auferlegt wurde. Nicht recht jedoch war, daß ich mich meiner Freude hingab und ihre Not völlig vergaß. Jetzt ist der Tag gekommen, an dem ich mich nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern kann oder daran, wie sie sich bewegte. Jetzt macht sich nur die Unruhe, die sie in mir zurückgelassen hat und die ich zu lange unbeachtet gelassen habe, mit voller Wucht bemerkbar. Wo immer sie sein mag, sie hat jetzt ihre Vergeltung. In diesen letzten sechs Monaten«, sagte er in kummervollem Ton, »habe ich nicht einmal für ihren Seelenfrieden gebetet. Sie ist mir völlig aus dem Sinn gegangen, weil ich glücklich war.«
»Ihr habt sie doch zweimal besucht«, sagte Hugh, »nachdem Ihr hier als Postulant aufgenommen worden wart.«
»Das habe ich, mit Bruder Paul, wie er Euch bestätigen wird. Ich hatte Dinge für ihren Lebensunterhalt, die ich ihr mit Erlaubnis des Vaters Abt geben wollte. Es geschah nach Recht und Gesetz. Das war das erste Mal.«
»Und wann war das?«
»Am achtundz wanzigsten Mai im letzten Jahr. Und wieder gingen wir Anfang Juni zu der Hofstelle, nachdem ich das Geld für den Verkauf meines Rades und der Werkzeuge und der anderen Dinge beisammen hatte, die sich im Häuschen noch verwerten ließen. Ich hatte gehofft, sie hätte sich inzwischen mit mir ausgesöhnt, um mir zu verzeihen und mir ihr Wohlwollen zu erweisen, doch so war es nicht. Sie hatte in all jenen Wochen mit mir gestritten, damit ich an ihrer Seite blieb wie zuvor. Doch an jenem Tag ging sie voller Haß und Zorn auf mich los und lehnte es verächtlich ab, auch nur irgend etwas anzurühren, was mir gehörte, schrie mich an, ich könne ruhig gehen, denn sie habe einen Liebhaber, der ihrer Liebe würdig sei, und alle Zärtlichkeit, die sie je für mich empfunden habe, sei zu bitterer Galle geworden.«
»Das hat sie Euch gesagt?« fragte Hugh in scharfem Ton.
»Daß sie einen Liebhaber hatte? Ich wußte, daß dies gemunkelt wurde, als sie das Häuschen verließ und sich auf und davon machte. Aber Ihr habt es von ihren eigenen Lippen gehört?«
»Ja, das hat sie gesagt. Sie war verbittert, weil sie mich, nachdem es ihr nicht gelungen War, mich an ihrer Seite zu halten, ebensowenig loswerden konnte, um in den Augen der Welt frei zu sein, denn ich war noch immer ihr Ehemann, ein Mühlstein an ihrem Hals, den sie nicht abschütteln konnte. Doch das werde sie nicht daran hindern, sagte sie, sich ihre Freiheit mit Gewalt zu nehmen, denn sie habe einen Liebhaber, der hundertmal mehr wert sei als ich, und ihm werde sie bis ans Ende der Welt folgen, wenn er sie nur dazu auffordere. Bruder Paul kann das alles bezeugen«, sagte Ruald schlicht. »Er wird es Euch bestätigen.«
»Und bei dieser Gelegenheit habt Ihr sie zum letzten Mal gesehen?«
»Das war das letzte Mal. Am Ende des Monats Juni war sie verschwunden.«
»Und seid Ihr seit dieser Zeit je wieder auf diesem Feld gewesen?«
»Nein. Ich habe auf Land der Abtei gearbeitet, meist auf dem Gaye, doch dieses Feld ist erst jetzt Land der Abtei geworden. Anfang Oktober im letzten Jahr wurde es Haughmond geschenkt. Eudo Blount von Longner, mein Landherr, machte es ihnen zum Geschenk. Ich hatte nie gedacht, das Feld je wiederzusehen oder davon zu hören.«
»Oder von Generys?« warf Cadfael sanft ein und beobachtete, wie sich Rualds schmales Gesicht in einer kurzen Zuckung von Schmerz und Scham straffte. Selbst diese Empfindungen würde er getreulich auf sich nehmen, da sie durch die Gewißheit der Freude gemildert und erträglich gemacht wurden, die ihn jetzt nie verließ. »Ich habe eine Frage zu stellen«, sagte Cadfael, »wenn Ihr erlaubt, Vater Abt. Hast du in all den Jahren, die du mit ihr verbracht hast, je Grund gehabt, dich über die Ergebenheit und Treue deiner Frau zu beklagen oder über die Liebe, die sie dir entgegenbrachte?«
Ohne Zögern erwiderte Ruald: »Nein! Sie war mir immer treu ergeben und voller Zuneigung. Fast zu sehr! Ich bezweifle, daß ich ihre Hingabe je so
Weitere Kostenlose Bücher