Das Geheimnis Der Schönen Toten
mit einem guten Mann verheiratet, und als das kalte Wetter begann, behielt er den Zustand der alten Frau sorgfältig im Auge, und als sie dann hilflos dalag, brachte er sie in die Stadt, damit sie bei ihnen leben kann. Seit dieser Zeit steht das Häuschen leer.«
»Seit Beginn dieses Jahres können sich dort also auch Dinge mit tödlichem Ausgang ereignet haben, ohne daß es Zeugen gab. Und dennoch«, sagte Cadfael, »glaube ich, ja, ich glaube es wirklich, daß sie schon seit einem Jahr oder mehr in der Erde gelegen hat und dort hineingelegt worden ist, als sich der Boden schnell und leicht ausheben ließ, und nicht in der Frostzeit. Seit dem Frühling dieses Jahres?
Nein, die Zeit ist zu kurz. Du mußt noch weiter zurückgehen, Hugh. Ich glaube, daß die Tat irgendwann zwischen Ende Juni und dem zehnten Oktober vergangen Jahres begangen wurde. Das ist lange genug her, damit die Erde sich legen und das Wurzelwerk kräftiger werden und sich im Lauf der Jahreszeiten ausbreiten konnte. Und falls Vagabunden sich auf ihrer Wanderschaft des Häuschens einmal bedient haben, wer sollte wohl da oben am Knick unter den Ginsterbüschen graben wollen? Ich habe mir schon überlegt, daß derjenige, der sie dort begraben hat, voraussah, daß die Erde irgendwann unter den Pflug kommen würde, und sie so hingelegt hat, daß ihr Schlaf nicht gestört werden würde. Wenn der Pflüger beim Wenden etwas behutsamer gewesen wäre, hätten wir sie nie gefunden.«
»Ich fühle mich versucht«, gab Hugh mit gerunzelter Stirn zu, »zu wünschen, du hättest sie nie gefunden. Aber jetzt ist es nun einmal geschehen. Sie hat einmal gelebt, und jetzt ist sie tot, und wir werden sie nicht mehr los, wer immer sie ist. Und ich weiß nicht recht, warum es so wichtig sein soll, ihr ihren Namen wiederzugeben und von dem, der sie auf eurem Feld begraben hat, Rechenschaft zu fordern, aber für uns beide wird es trotzdem kaum Ruhe geben, bis das erreicht ist.«
Es war eine wohlbekannte Tatsache, daß aller Klatsch und Tratsch aus der umliegenden Gegend, im Gegensatz zu den Gerüchten, die in der Stadt selbst blühten, zunächst im Hospital von Saint Giles zu hören war, das sich gut eine halbe Meile entfernt am Foregate, am Ostrand des Vororts, erstreckte. In dieser wohltätigen Einrichtung suchten die Entwurzelten der Straße immer wieder Schutz: Bettler, Wanderburschen in der Hoffnung auf Arbeit, Taschendiebe, Einbrecher und Betrüger, die ihrerseits entschlossen waren, jeder Arbeit aus dem Weg zu gehen, Verkrüppelte und Kranke, die auf Almosen angewiesen waren, oder Aussätzige, die Behandlung brauchten. Das einzige, was sie auf ihrer Wanderschaft erwerben konnten, waren Neuigkeiten, und die setzten sie als Währung ein, um Interesse auf sich zu lenken. Bruder Oswin, der der nominellen Leitung eines berufenen Laien unterstand, der sein Haus im Foregate-Viertel nur selten verließ, um sich im Hospiz sehen zu lassen, war für die Kranken verantwortlich. Er hatte sich im Lauf der Zeit an das ständige Hin und Her gewöhnt und konnte zwischen den wirklich Armen und Unglücklichen und den armseligen kleinen Gaunern unterscheiden. Gelegentlich tauchte ein Gesunder auf, der irgendeine schwere Behinderung vortäuschte, doch das kam nur selten vor, und Oswin entwickelte mit der Zeit auch für solche Unruhestifter ein immer besseres Auge. Er war eine Zeitlang Cadfaels Gehilfe im Kräutergarten gewesen, bevor man ihn zu diesem Dienst befördert hatte, und hatte von ihm mehr Fähigkeiten erlernt als das bloße Mischen von Tinkturen und Salben.
Drei Tage nach Suliens Enthüllung stellte Cadfael die Medikamente zusammen, um die Bruder Oswin gebeten hatte, und machte sich mit einem vollen Ranzen nach dem Foregate auf, um den Medizinschrank in Saint Giles wieder aufzufüllen, eine regelmäßig wiederkehrende Aufgabe, die er alle zwei bis drei Wochen, je nach Bedarf, unternahm. Da der Herbst jetzt schon recht weit fortgeschritten war, würden die Bewohner der Landstraßen allmählich an das bevorstehende Winterwetter denken und sich überlegen, wo sie während der schlimmsten Kälte Schutz und Unterschlupf finden konnten. Die Zahl der hoffnungslos heruntergekommenen Menschen war noch nicht gestiegen, doch alle, die jetzt unterwegs waren, waren wohl schon dabei, ihre Überlebenspläne zu schmieden. Cadfael ging ohne Hast die Landstraße entlang, wechselte hier und da an offenen Haustüren mit den Bewohnern ein paar Worte und fand ein abstraktes Vergnügen an der
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