Das Geheimnis Der Schönen Toten
kräftigen Schultern versunken.
Dem boshaften, finsteren Gesicht nach zu schließen, mit dem er seine Besucher begrüßte, hatte sich an seiner Übellaunigkeit nur wenig geändert. Sein Gesicht war geschrumpft und zu einer Maske des Mißtrauens und der Bosheit verzogen, und zwischen den Narben halbverheilter Wunden blitzten kleine, boshafte, wissende Augen sie an.
Das Gewand, das man ihm angelegt hatte, war für einen mit zunehmendem Alter schrumpfenden Körper zu groß und wohl absichtlich ausgewählt worden, wie Cadfael dachte, damit es lose am Körper hing und nicht an den Wunden scheuerte, die sich an dem runzligen Hals des Mannes und auf seinen Schultern fortsetzten. Dort hatte man ein Stück Leinentuch hineingelegt, um die Berührung kratziger Wolle zu lindern.
»Die Entzündung hat sich etwas gebessert«, flüsterte Oswin Cadfael leise ins Ohr. Und, als sie näherkamen, an den alten Mann gerichtet: »Nun, Onkel, wie fühlst du dich an diesem schönen Morgen?«
Die scharfen alten Augen blickten schräg zu ihnen hoch und verweilten auf Cadfael. »Keineswegs besser«, sagte eine angesichts einer so verwüsteten Hülle unerwartet kräftige und volle Stimme, »weil ich jetzt zwei von euch sehe statt nur einen.« Er rutschte näher an die Bettkante heran und blinzelte neugierig. »Ich kenne dich doch«, sagte er und grinste, als verschaffte ihm die Erkenntnis wenn nicht Vergnügen, so doch wenigstens einen Vorteil gegenüber einem möglichen Gegner.
»Jetzt wo du es sagst«, stimmte Cadfael zu und betrachtete das erhobene Gesicht mit gleicher Aufmerksamkeit, »habe ich auch das Gefühl, dich schon irgendwo gesehen zu haben. Doch wenn es so ist, war es unter besseren Umständen. Dreh das Gesicht ins Licht, hierher, so!« Er sah sich die verschorften Wunden genauer an, erfaßte dabei aber schnell die Züge des Gesichts, die Augen des Mannes, die in einem Netz von Falten gelblich strahlten, und beobachtete ihn aufmerksam, während er die aufgeplatzte Wunde untersuchte. An den Rändern der Entzündung zeigte sich der schwache, verformte Schorf frisch verheilter Wunden.
»Warum beklagst du dich über uns, wenn man dir hier zu essen gibt, du ein Dach über dem Kopf hast und ein warmes Bett, und Bruder Oswin so großherzig für dich gesorgt hat? Dein Zustand bessert sich, und das weißt du sehr wohl.
Wenn du noch zwei oder drei Wochen Geduld hast, kannst du diesen Kummer lossein.«
»Und dann werft ihr mich hier raus«, knurrte die kräftige alte Stimme bitter. »Ich weiß doch, wie es ist! Das ist mein Los in dieser Welt. Erst flickt man mich zusammen, und dann wirft man mich raus, damit ich wieder modere und verfaule. Wohin ich auch komme, es ist überall das gleiche.
Wenn ich mal ein Stück von einem Dach finde, unter dem ich für eine Nacht Unterschlupf suchen kann, kommt irgendein Lump daher und versetzt mir einen Fußtritt, um es für sich zu beanspruchen.«
»Hier dürfte dir das kaum passieren«, betonte Cadfael gleichmütig und zog das schützende Leinen wieder um den mageren Hals. »Bruder Oswin hier wird dafür sorgen. Du brauchst nur zuzulassen, daß er dich heilt, und keinen Gedanken dran zu verschwenden, wo du liegen oder was du essen wirst, bis du sauber und gesund bist. Danach ist immer noch Zeit genug, an solche Dinge zu denken.«
»Schöne Worte, aber es wird trotzdem so enden wie immer. Ich habe nie Glück. Ihr habt gut reden«, brummte er und warf Cadfael einen gehässigen Blick zu, »ihr verteilt Brotkrümel als Almosen an eurem Torhaus, während ihr reichlich habt, ihr habt ein festes Dach über dem Kopf und schöne trockene Betten, und dann erzählt ihr Gott, wie fromm ihr seid. Als wenn es euch nicht egal wäre, wo wir armen Seelen in derselben Nacht unser Haupt betten.«
»Aha, da hab ich dich also gesehen«, sagte Cadfael, dem jetzt ein Licht aufging. »Am Vorabend der Messe.«
»Und da hab ich auch dich gesehen. Und was habe ich davon gehabt? Brot und Brühe und einen Penny zum Ausgeben. «
»Den du wohl für Bier ausgegeben hast«, vermutete Cadfael sanft und lächelte. »Und wo hast du dann in jener Nacht dein Haupt gebettet? Und in all den Nächten der Messe? Arme wie dich hatten wir in einer unserer Scheunen gemütlich genug untergebracht.«
»Ich würde es trotzdem vorziehen, nicht innerhalb eurer Mauern zu liegen. Außerdem«, sagte er grollend, »wußte ich von einem Ort, der nicht allzu weit weg lag, einem Häuschen, in dem niemand wohnte. Ich war letztes Jahr schon dort,
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