Das Geheimnis Der Schönen Toten
Betrachtung von Kindern, die in dem unbeständigen Sonnenschein spielten, im Schlepptau ihre ewigen Gefährten, die Hunde des Foregate-Viertel s. Seine Stimmung war, passend zur Herbstluft und dem fallenden Laub, nachdenklich. Er hatte jeden Gedanken an Hughs Problem vorübergehend verdrängt und kehrte mit leicht schuldbewußtem Eifer und größerer Hingabe zu dem klösterlichen Tageslauf und seinen Pflichten darin zurück. Die leisen, nagenden Zweifel, die ihm im Hinterkopf herumgegangen waren, waren eingeschlafen, mochte ihr Schaf auch nur leicht und trügerisch sein.
Er erreichte die Stelle, an der sich die Straße gabelte, und neben der Landstraße erhob sich das lange, niedrige Dach des Hospitals hinter einem sanften, grasbewachsenen Hang und einem Zaun aus Weidenruten. Der gedrungene Turm seiner kleinen Kirche ragte über all das hinweg. Bruder Oswin erschien unter dem Vordach, um ihn zu begrüßen, so beleibt, fröhlich und strahlend wie immer. Die drahtigen Locken seiner Tonsur sträubten sich unter den niedrigen Zweigen der Gartenbäume, und im Arm hielt er einen Korb mit den harten kleinen Spätbirnen, der Sorte, die sich bis Weihnachten hielt. Seit seiner ersten Zeit als Gehilfe Cadfaels im Kräutergarten hatte er gelernt, seinen kräftigen Körper und seinen lebhaften Geist zu beherrschen. Er zerbrach nicht mehr, womit er umging, und stolperte in seiner Eile und in seinem Eifer, Gutes zu tun, nicht mehr über die eigenen Füße. Tatsächlich hatte er seit Beginn der Arbeit hier im Hospital Cadfaels Erwartungen bei weitem übertroffen. Seine großen Hände und kräftigen Arme eigneten sich besser dazu, die Kranken und Gebrechlichen zu heben und die Streitsüchtigen zu besänftigen, als kleine Täfelchen zu formen und Pillen zu drehen; allerdings verstand er sich darauf, die Medizin, die Cadfael ihm brachte, an die Patienten zu verabreichen, und überdies hatte er sich als einfühlsamer und fröhlicher Krankenpfleger erwiesen, der selbst bei den schwierigsten und undankbarsten Patienten nie aus der Haut fuhr.
Sie füllten gemeinsam die Regale des Medizinschranks, verschlossen ihn wieder, um ihn vor neugierigen Blicken zu schützen, und begaben sich in die Halle. Da der November vor der Tür stand, brannte hier ständig ein Kaminfeuer, vor dem sich ein paar Gäste aufhielten, die noch zu schwach waren, um sich frei zu bewegen. Manche von ihnen würden diesen Ort erst verlassen, wenn man sie zur Beerdigung auf den Friedhof trug. Die Gesündesten waren draußen im Garten und brachten die spätherbstliche Ernte ein.
»Wir haben einen neuen Insassen«, sagte Oswin. »Es wäre gut, du würdest ihn dir mal ansehen und dich vergewissern, ob ich ihn richtig behandle. Es ist ein übler alter Mann, wie ich sagen muß, der eine scheußliche Sprache im Munde führt. Er kam so voller Ungeziefer zu uns, daß ich ihn in einer Ecke der Scheune betten ließ. Selbst jetzt noch, wo wir ihn inzwischen gesäubert und in neue Kleider gesteckt haben, sollte er, wie ich finde, lieber abseits gehalten werden. Seine Wunden könnten andere anstecken.
Seine Bosheit würde bestimmt Schaden anrichten, denn er hegt einen Groll gegen die ganze Welt.«
»Die Welt hat ihm wahrscheinlich genug angetan, um es zu verdienen«, gestand Cadfael ihm bekümmert zu, »aber es wäre bedauerlich, wenn er seinen Zorn an jemandem ausließe, der noch schlimmer daran ist als er selbst. Es wird immer Hasser unter uns geben. Wo hast du diesen her?«
»Er kam vor vier Tagen zu uns gehumpelt. Ich habe seinen Worten entnommen, daß er in der Nähe der Walddörfer im Freien geschlafen und sich sein Essen zusammengebettelt hat, wo es möglich war, und wenn es mit der Wohlfahrt knapp wurde, hat er wohl auch gestohlen. Er sagt, er habe während der Messe hier und da ein wenig Arbeit gefunden, aber ich habe den Verdacht, daß er sich auf eigene Rechnung als Taschendieb betätigt hat, denn so, wie er aussieht, würde ihm kein ehrbarer Kaufmann Arbeit geben. Komm mit, überzeug dich selbst!«
Die Scheune des Hospizes war ein geräumiges und sogar komfortables Gebäude, warm von duftendem Sommerheu und von dem reifen Aroma abgelagerter Äpfel erfüllt. Der böse alte Mann, zweifellos mit einem weniger übelriechenden Körper als bei der Ankunft, hatte sein mit Rollen versehenes Bett in der Ecke aufgestellt, in der es am wenigsten zog, und hockte auf seiner Strohmatratze wie ein Vogel auf der Stange. Sein struppiger grauer Kopf war zwischen einst massiven,
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