Das Geheimnis Der Schönen Toten
hatte, ließ sie sich nichts davon anmerken. Sie setzte sich so fröhlich wie immer zu ihm und sprach über den Haushalt und die Verwaltung des Schlosses durch Alan Herbard und legte dabei die gewohnte praktische Vernunft an den Tag; und Giles kletterte nicht auf den Schoß seines Patenonkels, wie er es noch vor ein paar Wochen vielleicht getan hätte, sondern setzte sich neben ihm auf die Bank wie ein Mann und Altersgenosse.
»Ja«, sagte Aline, »ein Bogenschütze des Trupps ist erst heute nachmittag angekommen und hat die ersten Nachrichten gebracht, die wir überhaupt bekommen haben. Er hat bei einem Scharmützel einen Streifschuß erhalten, und Hugh schickte ihn nach Hause, als er sah, daß er noch reiten konnte, und überdies hatten sie unterwegs überall Pferde zum Wechseln zurückgelassen. Die Wunde wird gut verheilen, sagt Alan, schwächt aber seinen Zugarm.«
»Und wie ergeht es ihnen?« wollte Cadfael wissen.
»Haben sie es geschafft, Geoffrey herauszulocken?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf. »Die Chancen sind mehr als gering. Überall steigt das Wasser, und es regnet immer noch. Sie können nur warten und den Stoßtrupps auflauern, wenn diese sich vorwagen, um die Dörfer zu plündern. Doch auch dabei ist der König im Nachteil, wenn er sehen muß, daß Geoffreys Männer jeden gangbaren Pfad kennen und es nur zu leicht erreichen können, sie in die Sümpfe zu treiben. Trotzdem haben sie es geschafft, sich einige dieser kleinen Trupps vorzunehmen. Es ist nicht gerade das, was Stephen will, aber alles, was er bekommen kann. Ramsey ist so gut wie abgeschnitten, und niemand kann darauf hoffen, sie dort herauszubekommen.«
»Und dieses mühselige Geschäft, sich in den Hinterhalt zu legen und zu warten«, sagte Cadfael, »kostet zuviel Zeit.
Stephen kann es sich nicht leisten, damit allzu lange weiterzumachen. Es ist ein kostspieliges und weitgehend wirkungsloses Verfahren, so daß er sich bald wird zurückziehen müssen, um sich etwas anderes einfallen zu lassen.
Wenn Geoffreys Streitmacht inzwischen so groß geworden ist, muß er seinen Nachschub von jenseits der Fen-Dörfer erhalten. Vielleicht sind seine Nachschublinien verwundbar. Und Hugh? Ist er wohlauf?«
»Durchnäßt und schlammverschmiert, und frieren dürfte er auch, würde ich sagen«, sagte Aline mit einem bekümmerten Lächeln, »und wahrscheinlich flucht er auch nach Herzenslust, aber er ist jedenfalls heil und unversehrt oder war es jedenfalls, als sein Bogenschütze ihn zurückließ. Für dieses mühselige Geschäft, wie du es genannt hast, spricht wenigstens eins: Die Verluste, die es überhaupt gegeben hat, sind auf de Mandevilles Seite gewesen. Aber es waren zu wenige, um ihm nachhaltig zu schaden.«
»Jedenfalls nicht genug«, bemerkte Cadfael nachdenklich, »um sich für den König noch lange zu lohnen. Ich glaube, Ahne, daß du vielleicht nicht mehr lange warten mußt, bis du Hugh wieder zu Hause hast.«
Giles drängte und kuschelte sich noch etwas enger an seinen Paten, sagte aber nichts. »Und Ihr, mein Herr«, sagte Cadfael, »werdet Euer Gutshaus dann wieder zurückgeben und über Eure Verwaltung Rechenschaft ablegen müssen. Ich hoffe, Ihr habt Euch die Dinge nicht entgleiten lassen, während der Herr Sheriff fortgewesen ist.«
Schon bei der bloßen Vorstellung, sein eisernes Regiment könnte je herausgefordert werden, ließ sich Hughs Stellvertreter einen zornigen kleinen Laut entfahren. »Ich mache meine Sache gut«, erklärte er fest. »Das sagt mein Vater. Er sagt, ich halte die Zügel fester in der Hand als er.
Und setze öfter die Sporen ein.«
»Dein Vater«, sagte Cadfael feierlich, »ist immer gerecht und großzügig, selbst zu denen, die ihm überlegen sind.«
So etwas wie Alchimie von Seelenverwandtschaft und Zuneigung machte ihm das Lächeln bewußt, das Aline sich ihrem Gesicht nicht anmerken ließ.
»Besonders den Frauen gegenüber«, bemerkte Giles selbstgefällig.
»Das«, sagte Cadfael amüsiert, »kann ich mir sehr gut vorstellen.«
Um König Stephens Ausdauer, bei welchem Vorhaben auch immer, war es seit jeher nicht gut bestellt gewesen. Es war gewiß nicht Mangel an Mut oder auch nur an Entschlossenheit, was ihn dazu brachte, Belagerungen schon nach wenigen Tagen aufzugeben und sich einem lohnenderen Angriffsziel zuzuwenden. Es waren eher Ungeduld, enttäuschter Optimismus, sein Abscheu vor Untätigkeit, die ihn dazu brachten, ein Vorhaben abzubrechen, um sich einem neuen zuzuwenden.
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