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Das Geheimnis Der Schönen Toten

Das Geheimnis Der Schönen Toten

Titel: Das Geheimnis Der Schönen Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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hatte keine Eile. Selbst sein ganzer Fleiß konnte ihn nicht davon überzeugen, daß er zu Hause gebraucht wurde, und der Tag war zwar wolkenverhangen, aber trocken, und die Luft war mild. Er ritt voran und entfernte sich dabei allmählich etwas weiter vom Flußufer, und erst als er den niedrigen Hügelkamm erreichte, den höchsten Punkt dieser flachen, offenen Felder, erkannte er, wohin er ritt. Vor ihm tauchten in nicht allzugroßer Entfernung hinter einem zarten Filigran kahler Äste die Dächer von Withington auf, und der gedrungene, rechteckige Turm der Kirche war über dem Hain mit den niedrigen Bäumen gerade noch zu erkennen.
    Ihm war nicht aufgegangen, wie sehr sie ihm seit seinem Besuch dort im Kopf herumgegangen war, daß sie sich tief ins Gedächtnis eingegraben hatte, unauffällig, aber allezeit gegenwärtig. Er brauchte jetzt nur die Augen zu schließen und konnte ihr Gesicht so deutlich vor sich sehen wie damals, als sie das Hufgetrappel seines Pferdes zum ersten Mal auf dem festgetretenen Boden des Hofs gehört und sich umgedreht hatte, um zu sehen, wer da angeritten kam.
    Schon wie sie innegehalten und sich ihm zugewandt hatte, erinnerte ihn an eine in einem leichten Windhauch schwankende Blume, und das Gesicht, das sie ihm entgegenhob, war offen wie ein Blütenkelch, ohne Vorbehalt oder Furcht, so daß er bei jenem ersten Blick gemeint hatte, tief in ihr Wesen hineinzusehen. Als wäre ihr zwar gerundetes, volles und festes Fleisch außen durchsichtig gewesen und als hätte es von innen geleuchtet. An jenem Tag hatte ein bleicher Sonnenschein geherrscht, der durch ihre Augen, rotgoldene Augen, an Strahlungskraft gewonnen und auf ihrer breiten Stirn unter dem weichen braunen Haar einen Widerschein erhalten hatte. Sie hatte ihn freimütig angestrahlt und Wärme um sich verbreitet, um die Kühle der Besorgnis schmelzen zu lassen, die sich ihm auf Gemüt und Herz gelegt hatte, obwohl sie ihn zuvor noch nie zu Gesicht bekommen und keinerlei Anlaß hatte, ihn je wiederzusehen oder wieder an ihn zu denken.
    Aber er hatte an sie gedacht, ob er wollte oder nicht.
    Und jetzt hatte er kaum erkannt, daß er immer noch auf den hinteren Dorfrand zu ritt, wo das Gutshaus lag. Vor ihm erhoben sich der Palisadenzaun, der aus den Feldern emporwuchs, das steil ansteigende Dach dahinter, das rechteckige Muster der Feldstreifenjenseits der Einfriedung, ein rechteckiger Garten mit Obstbäumen, die alle abgeerntet und fast entlaubt waren. Er war durch den ersten Fluß hindurchgeritten, daß das Wasser um die Hufe des Pferdes aufspritzte, fast ohne es zu merken, aber der zweite, der jetzt so nahe an dem weit offenen Tor des Hofzauns lag, veranlaßte ihn, urplötzlich innezuhalten und zu bedenken, was er tat und nicht tun durfte, wozu er kein Recht hatte.
    Er konnte den Hof hinter dem Zaun sehen und den älteren Jungen, der ein Pony, auf dessen Rücken das kleine Mädchen saß, behutsam herumführte, so daß es geziemende Kreise beschrieb. Die beiden tauchten in regelmäßigen Abständen auf, passierten und verschwanden aus dem Blickfeld, bis sie am fernen Ende ihres Kreises wieder erschienen, um wiederum zu verschwinden. Der Junge erteilte mit wichtigtuerischer Stimme Befehle, während sich das kleine Kind mit seinen winzigen Fäusten in der Mähne des Ponys festklammerte. Einmal kam Gunnild kurz ins Blickfeld. Sie lächelte und sah ihrer jüngsten Schutzbefohlenen zu, die wie ein Junge rittlings auf dem Pony saß und dem dickbäuchigen Tier mit ihren runden nackten Fersen in die Flanken trat. Dann zog sich Gunnild wieder zurück, räumte den Exerzierplatz und verschwand aus Suliens Blickfeld. Er nahm sich mit einiger Anstrengung zusammen, riß sein Pferd herum und ritt wieder auf das Dorf zu.
    Und da war sie. Sie kam ihm aus der Richtung der Kirche entgegen. Unter den Falten ihres Umhangs trug sie einen Korb über dem Arm, und ihr braunes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten und mit einem scharlachroten Band zusammengebunden. Ihre Augen ruhten auf ihm. Sie hatte ihn erkannt, bevor er sich ihrer auch nur bewußt geworden war, und näherte sich ohne jede Hast und ohne jedes Zögern mit zutraulicher Freude. So wie er sie noch vor einem Augenblick vor seinem geistigen Auge gesehen hatte, nur daß sie da keinen Umhang getragen hatte und ihr Haar ihr gelöst auf die Schultern gefallen war. Aber ihr Gesicht hatte die gleiche strahlende Offenheit, und das Leuchten ihrer Augen ließ wie eben noch erkennen, daß er in ihrem

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