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Das Geheimnis der Schwestern

Das Geheimnis der Schwestern

Titel: Das Geheimnis der Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristin Hannah
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Ordnung?«
    »Ihr geht es gut.«
    »Und Noah?«
    Sie hörte, dass er mit seinen Gefühlen kämpfen musste, sah die Verletzlichkeit in seinen grauen Augen. »Noah geht es auch gut. Er ist der Grund für meinen Besuch. Setz dich.«
    »Sag mir erst, ob es sich lohnt, dass ich mich hinsetze.«
    »Ich bin hier im Auftrag deines Sohnes. Er will eine Eingabe vor Gericht.«
    Dallas warf so heftig den Telefonhörer von sich, dass er gegen die Plexiglasscheibe knallte. Dann drehte er sich um und ging. Der Wachmann hielt ihm die Tür auf, und ohne einen Blick verschwand Dallas in das dumpf dröhnende Innere des Gefängnisses.
    »Das darf doch wohl nicht wahr sein«, murmelte Winona. Lange Zeit saß sie nur da, starrte auf die verschmierte Scheibe und wartete auf seine Rückkehr.
    Schließlich kam eine Frau zu ihr, berührte sie an der Schulter und fragte, ob sie auf einen Gefangenen warte.
    »Nein, jetzt nicht mehr«, antwortete sie und schob ihren Stuhl zurück.
    Als Tante Winona vom Gefängnis zurückkam, wartete ich vor ihrer Tür auf sie. Es regnete heftig, und ich war nass bis auf die Knochen, aber das war mir egal. Ich sah, wie sie heranfuhr, aus dem Wagen stieg und den Weg heraufkam.
    Sie war an dem dämlichen Nixenbrunnen, als sie sah, dass ich im Regen auf sie wartete.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    Ich fragte, was er gesagt, welche Ausreden er angeführt hätte, aber Tante Winona meinte, er hätte darüber nicht mal mit ihr sprechen wollen. Sie sagte: »Ich hab ihm ausgerichtet, was du wolltest, aber da ist er einfach aufgestanden und verschwunden.«
    Am liebsten hätte ich geschrien oder geweint oder jemanden geschlagen, aber mir war klar, dass das völlig sinnlos ist. Also dankte ich ihr für ihren Versuch und ging nach Hause.
    Als ich dort ankam, regnete es so heftig, dass ich beim Atmen Wasser in den Mund bekam. Ich öffnete die Haustür und sah meine Mom. Sie saß auf dem Sofatisch und versuchte, ganz ruhig zu wirken, aber ich bemerkte, dass sie sich Sorgen machte. Sie stand auf, kam zu mir und sagte etwas über meine nassen Sachen.
    Aber ich brachte nur ein einziges Wort heraus, nämlich »Dad«, und dann brach ich in Tränen aus, wie ein totaler Schlappschwanz.
    Sie umarmte mich und sagte immer wieder: »Ist schon gut«, so wie früher, aber jetzt weiß ich, dass das eine Lüge ist. »Ich vermisse meinen Dad«, sagte ich, »obwohl ich verdammt noch mal nicht weiß, wer er ist. Obwohl er ein Mörder ist.«
    »Aber er ist nicht nur das«, sagte Mom. Sie sagte, ich sollte mich immer daran erinnern, dass sie ihn und er mich geliebt habe.
    Ich antwortete, das würde ich, aber das war auch gelogen. Ich werde mich nicht daran erinnern, dass er mich früher geliebt hat. Genau das nämlich versuche ich zu vergessen.
    Der Oktober war eine Folge aus grauen Tagen und kalten Nächten, die immer wieder von Nieselregen begleitet wurden. Die kürzer werdenden Tage waren für Winona angefüllt mit Arbeit, weil sie sich auf die kommenden Wahlen vorbereitete.
    Für einen Außenstehenden, einen zufälligen Besucher etwa, hätte Winona gewirkt wie immer. Pünktlich ab acht Uhr morgens saß sie an ihrem Schreibtisch und telefonierte oder besprach sich mit Klienten. In der Mittagspause sah man sie meistens im Diner oder Waves Restaurant, wo sie ein einflussreiches Mitglied der Gemeinde zu einem Arbeitsessen einlud. Nach der Arbeit, wenn es schon dunkel wurde, saß sie gewöhnlich in ihrem Bett und sah sich im Fernsehen Reality-Shows an oder schrieb Werbebriefe. Auf ihren makellos wei ßen Umschlägen aus Büttenpapier stand: Stimmen Sie für eine Gewinnerin! Wählen Sie diesen November Winona Grey!
    All das füllte ihre Zeit, dazu kamen die Kirchgänge, die monatlichen Familienessen und ihre Verabredungen mit Mark. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so beschäftigt und so glücklich gewesen zu sein. Sie liebte jedes einzelne Detail, das ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit beanspruchte. Ende September hatten Mark und sie endlich ihre Beziehung bekanntgemacht, und seitdem schien jedermann davon auszugehen, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis sie heirateten. Selbst Winona begann langsam zu hoffen. Sie hatten sich zwar nicht Hals über Kopf ineinander verliebt, aber sie war alt genug, um die Realitäten zu erkennen. Außerdem hatte sie schon einmal einen Mann aufrichtig geliebt und im Namen dieses unzuverlässigen Gefühls jede Menge Fehler gemacht. Also war es besser, auf Nummer sicher zu gehen. Mit diesem Hintergedanken

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