Das Geheimnis der Schwestern
Blick lag eine Bedürftigkeit, wie sie sie noch nie gesehen hatte. »Nicht?«, fragte er.
»Seit dem Tag, als die Scheidungspapiere kamen, hat sie nicht ein Pferd mehr gerettet. Ich schätze, dazu braucht man eine Zuversicht, die ihr verlorengegangen ist. Im Grunde ist sie selbst jetzt so wie eins dieser Pferde; wenn man ihr in die Augen blickt, sieht man nur Leere.«
Dallas schloss langsam die Augen. »Kein DNA -Test kann mir helfen, Win. Angenommen, der Test ist negativ, dann werden sie nur behaupten, ich hätte vor dem Mord keinen Sex mit Cat gehabt.«
»Aber es besteht eine Chance. Du hast recht, es ist kein schlagender Beweis, weil es noch andere belastende Fakten gibt, aber ich bin sicher, der Prozess wird wieder aufgerollt.«
Als er sie ansah, konnte sie die Verzweiflung in seinen grauen Augen kaum ertragen. »Und das will mein Sohn.«
»Er braucht dich, Dallas. Du kannst dir doch vorstellen, was sie über ihn sagen. Die Kinder von Butchie und Erik hänseln ihn die ganze Zeit. Und er hat dein Temperament geerbt.«
Dallas stand auf und wanderte mühsam und mit klirrenden Ketten um den Tisch. »Es ist gefährlich«, sagte er.
»Nicht wenn du unschuldig bist.«
Da lachte er.
Sie ging zu ihm und trat von hinten an ihn heran. Wenn der Wachmann sie nicht argwöhnisch beobachtet hätte, hätte sie ihn an der Schulter berührt. »Vertrau mir, Dallas.«
Er drehte sich um. »Ich soll dir vertrauen? Das soll wohl ein Witz sein!«
»Ich habe dich falsch eingeschätzt. Das tut mir leid.«
»Du hast mich nicht falsch eingeschätzt, Win, sondern du warst blind vor lauter Eifersucht auf Vivi Ann.«
Sie schluckte hart, weil sie wusste, dass ihr dieser Vorwurf eine lange Zeit nicht mehr aus dem Kopf gehen würde. »Ja. Vielleicht bin ich deshalb heute hier. Als Buße.«
Das schien ihn zu überraschen. »Ich möchte ihr nicht weh tun. Oder Noah.«
»Über Liebe, Verlust und Schmerz weiß ich nicht viel, Dallas, aber eins weiß ich: dass es Zeit für die Wahrheit ist.«
Dallas schwieg eine ganze Weile, dann sagte er: »Ist gut«, und selbst da noch wirkte er unglücklich, und sie wusste den Grund. Er kannte sich mit dem Rechtssystem – und der Liebe – besser aus als sie, und er wusste, welchen Preis man am Ende für trügerische Hoffnungen bezahlen konnte.
Fünfundzwanzig
Die Familie Grey ging im Nieselregen von der Kirche nach Hause. An diesem ersten Sonntag im November wirkte die Stadt trüb und verlassen. Kahle Bäume säumten die leeren Bürgersteige, ihre runzligen braunen Stämme verschwammen im Nebel, der vom Hood Canal heranwogte.
Aus der Ferne erinnerte die Familie mit ihren schwarzen Regenschirmen an eine Raupe, die sich ihren Weg über den Hügel und die lange Schotterzufahrt hinaufbahnte.
Für Vivi Ann war dies immer der schlimmste Teil. Den Sonntagmorgenspaziergang in den Ort, den Gottesdienst und das anschließende gesellige Beisammensein überstand sie ganz gut. Aber wenn sie die Zufahrt hinaufging, musste sie immer daran denken, dass Dallas diese Bäume gepflanzt hatte. Damals waren es winzige, spindeldürre Schösslinge gewesen, die Wind und Wetter noch nicht hatten standhalten müssen; die Erde von Water’s Edge hatte sie genährt und groß und stark gemacht. Einst hatte sie sich mit diesen Bäumen verglichen, die hier gepflanzt worden und fest genug verwurzelt waren, um für immer zu wachsen und zu gedeihen.
Als sie das Farmhaus erreichten und ihre Gummistiefel und die regennassen Sachen an der Tür auszogen, war Vivi Anns Stimmung so grau wie das Wetter. Sie war nicht unglücklich oder deprimiert; eher lustlos. Schlecht gelaunt.
Und da war sie nicht die Einzige. Noah schmollte jetzt schon seit Wochen, knallte häufig Türen und zog sich in seine Musik zurück.
Doch all das versuchte Vivi Ann an diesem Sonntagnachmittag zu verdrängen, als sie in die Küche ging, um das Abendessen vorzubereiten.
»Dir ist schon klar, dass die Käse-Sahne-Sauce und der Teig den gesundheitlichen Nutzen des Gemüses zunichtemachen, oder?«, fragte Aurora, als Vivi Ann drei Backformen mit selbstgemachtem Hühnchenauflauf in den Ofen schob.
»Es ist ein Rezept von Paula Deen«, antwortete Vivi Ann. »Da kannst du froh sein, dass weder Mayo noch Sauercreme dazukommen. Außerdem könntest du gut ein paar zusätzliche Pfund gebrauchen.«
»Ich hab mehr zwischen den Zähnen, als sie isst«, erklärte Winona.
»Hahaha«, sagte Aurora und schenkte sich noch ein Glas Wein ein. »Das ist so komisch, dass ich
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