Das Geheimnis der Sonnensteine: Roman (Sonnenstein-Trilogie) (German Edition)
als mannshohe Nadel schien ihm geeignet. Mit einer Hand hielt er sie fest, mit der anderen griff er einen Stein und schmetterte ihn gegen den Fuß des Gewächses. Klirrend brach der Stengel, und Quattro besaß einen zwar spröden, aber vorzüglich zu handhabenden Speer. Da diese Waffe leicht entzweibrach, war es notwendig, an reichlichen Ersatz zu denken. Den elektrischen Schlag, der ihn jedesmal durchzuckte, mußte er in Kauf nehmen. Selten sind es mehr als knapp sechzig Volt, das ist ihm bekannt.
Seine erste Bewaffnung diente ausschließlich dazu, sich mit Kleidung und Nahrung zu versorgen. Mit solch primitiven Speeren ein Einhorn anzugehen wäre nicht nur töricht, sondern selbstmörderisch. Am wichtigsten war erst einmal Schuhwerk, seine Fußsohlen bluteten schon, zerschnitten von den spröden, scharfkantigen Gewächsen des Planeten Tronnt.
Jedes Geräusch vermeidend, spähte er zwischen die porösen Platten der Galvanoferen. Dort verstecken sich die Trichtermolche, weil die messerscharfen Kanten der glasigen Scheiben sie vor ihren Todfeinden, den Schleimigen Zehrern, schützen.
Plötzlich horchte Quattro auf und erschrak. Sollte er gerade in eine Ronde hineingeraten sein? Tatsächlich, das Jaulen und Heulen wurde immer stärker.
Schnell ebnete er mit einem Speer eine Stelle, so daß er sich hinlegen konnte. Dann preßte er sich fest gegen den Boden. Dumpfes Brausen und Grollen schien aus dem Inneren des Tronnt emporzusteigen. Aufmerksam sah Quattro sich um. Ja, dort regte sich schon einer und dort auch! Überall zwischen den zackigen Platten der Galvanoferen wurde es lebendig. Da sah er auch schon, wie sich ein in einen Trichter mündender muskulöser Schlauch entrollte. Die Trichtermolche rüsteten zur Jagd. Das war die endgültige Bestätigung dafür, daß die Ronde herangefegt kam!
Quattro merkte sich genau die Stellen, wo die Molche saßen. Vielleicht war es ein glücklicher Zufall, daß er ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit seiner Jagd begann. So brauchte er nachher nicht lange nach den Erdhöhlen der Molche zu suchen, sondern konnte die vollgefressenen Tiere an der Oberfläche erlegen, weil sie einige Zeit brauchen, um sich in ihre Gänge zurückzuziehen!
Da brauste und tobte es auch schon über ihn hinweg wie ein Orkan.
Millionen von Schleierdrachen, zu einer gigantischen Wolke zusammengeballt, folgen in einer wilden Jagd dem Lauf der Sonne Ellora, rastlos, ohne Pause, ihr ganzes Leben lang. Das ist sie, die Ronde! Eine merkwürdige Mischform aus dem galvanischen und dem eiweißorganischen Leben auf dem Planeten. Eine verfehlte, zum Untergang verurteilte Form des Lebens. Eine grausame Laune der Natur.
Blinde und taube Flugwesen, nur mit einem einzigen Sinnesorgan ausgerüstet, das sie den Sonnenstand erkennen läßt. Ihre Lebensenergie beziehen sie, wie die gesamte Flora des Tronnt, direkt aus der sengenden Strahlung der Sonne Ellora. Aber sie sind nicht in der Lage, diese Energie zu speichern, und so jagt die Wolke seit Millionen von Jahren in rasendem Flug um den Äquator des Tronnt, immer der Sonne hinterher, ohne die diese gespenstischen Wesen sofort sterben würden…
Drei Wochen benötigen die Schleierdrachen, um den Tronnt einmal zu umrunden. Alles Leben im Äquatorgürtel des Planeten hat sich diesem Zyklus angepaßt. Splitternd und klirrend bersten die Platten und Scheiben der Kondizeen und Galvanoferen unter der Gewalt der Ronde. Bruchstücke, scharfkantig und gezackt, wirbeln umher. Überall das scharfe Knallen, mit dem die dünnen Flächen reißen und springen. Als wäre ihnen das eigene Schicksal bewußt und sie rächten sich dafür an der Natur, so zerstören und vernichten die Schleierdrachen erbarmungslos, was ihnen auf ihrem ewigen Zug entgegentritt.
Deutlich konnte Quattro beobachten, wie die Galvanoferen Tausende ihrer kleinen Pfeile in den Himmel schossen, bevor sie zusammenbrachen. Manche fielen wieder herab, aber viele bohrten sich auch in die Körper der Flugwesen, die sie so Hunderte, Tausende Kilometer mit sich trugen und deren Sporen sie über den ganzen tropischen Gürtel des Tronnt verstreuten.
Immer wieder zischten die Trichter der lauernden Molche Dutzende Meter in den Himmel, weiteten sich zu gigantischen Schlünden, wurden von der Ronde niedergeschleudert. Aber selten geschah es, daß der Schlauch schlaff und hohl zu Boden sank. Fast jedesmal gelang es den Trichtermolchen, einige Schleierdrachen in ihre Fangorgane zu saugen…
Quattro lag zitternd am Boden.
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