Das Geheimnis der Sonnensteine: Roman (Sonnenstein-Trilogie) (German Edition)
hervorgehen. Was mögen das für Fabelwesen sein? Quattro weiß es nicht. Es müssen Tiere sein, die bisher kein Mensch zu Gesicht bekam. Der Urck stößt ein heiseres Fauchen aus und richtet den starren, eiskalten Blick seiner Facettenaugen genau auf den reglos am Boden liegenden Jäger.
Das Herz scheint Quattro zu zerspringen, der Puls hämmert in den Schläfen, als wäre statt Blut Quecksilber in seinen Adern. Der Sichelkopf auf dem biegsamen Schlangenhals reckt sich immer höher, ruckweise wendet die Bestie den Blick in alle Richtungen.
Der Menschengeruch macht ihn wild, denkt Quattro kühl. Der Urck kennt ihn nicht und weiß nicht, was er tun soll, hoffentlich gipfelt seine Wut nicht in einem verheerenden Todestanz!
Aus sicherer Entfernung hat Quattro vor Jahren einmal das Toben eines Urcks beobachten können, vor dem sich ein Schlammschaufler in allerletzter Sekunde ins Wasser retten konnte. Ohne Rücksicht auf das eigene Leben zerschmetterte das Biest die spröde, kristalline Flora des Tronnt auf einer Fläche von einigen Dutzend Quadratmetern mit seinem Segelschwanz, hackte blindwütig in die gläsernen Platten und Scheiben der Galvanoferen, bis es schließlich den dabei sich selbst zugefügten Verletzungen erlag. Seit dieser Zeit hat Quattro einen abergläubischen Respekt.
Da zuckt der Kopf des Tieres hoch wie von einer Feder geschnellt. Im Bruchteil einer Sekunde sieht Quattro, wie sich die Sprungmuskulatur der Beine zu knotigen Strängen verhärtet, dann zischt der plumpe Körper wie ein Schrapnellgeschoß durch die Luft, und wieder hört Quattro jenes charakteristische Geräusch: „Urrrrck!“
Weit entfernt verschwindet das Tier zwischen den glasigen Tafeln und Scheiben der Kondizeen und Galvanoferen, und das durchdringende Trompeten eines Trichtermolches zeigt an, daß ein Jäger sein Opfer erlegt hat. Nun endlich ist Quattro an der Reihe… Doch er interessiert sich nicht für den Urck. Quattros Aufmerksamkeit gilt der spiegelglatten Oberfläche des träge dahinfließenden Großen Ochsenstromes.
Er erhebt sich steif. Bis hierher hat er das Monoceros getrieben, denn an dieser Stelle halten sich immer Marksaugerschwärme auf. Vorsichtig läßt Quattro den Umhang aus Molchleder von den Schultern gleiten, ganz behutsam, damit die durch das Leder gedrungenen Nadeln des Silberfarns nicht abbrechen und in der Haut steckenbleiben.
Silberfarn, wer ist bloß auf diesen dämlichen Namen gekommen! denkt er, als er spürt, wie eine der spröden Nadeln abbricht. Er würde diese Pflanze eher Teppichkaktus nennen, denn mit einem Farn hat sie gar nichts gemeinsam. Sie ähnelt schon eher dem irdischen Moos, nur daß da eben diese dünnen, glasfasergleichen Nadeln sind.
Quattro breitet den Umhang aus, setzt sich vorsichtig und holt ein Stück des proteinreichen Zehrerfleisches aus dem Lederbeutel. Das in der prallen Sonne gedörrte Fleisch des Schleimigen Zehrers ist seine einzige Nahrung, fade und zäh, aber auch sehr nahrhaft. So dicht vor dem Ziel darf er keinen Fehler begehen, deshalb zwingt er sich zu dieser Pause, um den überreizten Nerven Gelegenheit zu geben, sich zu beruhigen.
Er beobachtet die Wasseroberfläche. Winzige Bläschen verraten dem erfahrenen Jäger den Aufenthaltsort seines Wildes. Dort, wo sie perlend aufsteigen, nur dem geübten Auge sichtbar, verharrt das Einhorn träge auf dem Grund des Großen Ochsenstromes, um blitzschnell seinen Schleuderarm aus den Wellen peitschen zu lassen, wenn ein Beutetier in seine Nähe gerät.
Als der Admirander ihm befahl, ein Monoceros ellorae zu erlegen, war Quattro verblüfft. Reganta erklärte ihm daraufhin knapp, daß die Ärztekommission die psychische Konstitution des Kosmanders für zu instabil halte, um ihm die Benutzung des Traumteufels gestatten zu können. Er sei völlig am Ende, kurz vor einem Nervenzusammenbruch, wie Medikaster Bornschleif behaupte.
Also sagte der Admirander: „Kosmander Elldes, ich befehle Ihnen, ein Monoceros ellorae zu erlegen. Sie sind für uns zu wichtig, als daß wir Ihnen gestatten dürften, schlappzumachen und womöglich monatelang auszufallen! Machen Sie Urlaub, erholen Sie sich, das ist ein dienstlicher Befehl!“
Und wirklich, Quattro war ihm dankbar, obwohl er es erst nicht fassen konnte. Es gelang ihm sogar, Distanz zu den Vorgängen auf der Erde zu gewinnen, teilweise zu vergessen, in welcher Lage sich die Menschheit befindet.
Der Admirander wußte natürlich, daß sich ein Angehöriger der Bruderschaft der
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