Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
stimmt nicht ganz, es bleibt ein unübersetzter Rest, die Erinnerung an die Besonderheit der Lynchjustiz in Amerika, und in diesem Rest steckt Lynch nicht nur als ein Ausdruck, sondern als ein Eigenname. Wiederum anders liegt die Sache beim Pompadour. Beutel oder Strickbeutel reicht nicht aus, man müßte zum mindesten sagen: »der Tragbeutel der eleganten Dame«. Er brauchte nicht Pompadour zu heißen, könnte auch irgendwie anders genannt werden, wenn nur dies andere eine Beziehung zum Eleganten aufwiese. Ein weiblicher Eigenname von Weltklang löst diese Aufgabe in der einfachsten Weise. Mit Hebe kann ich schmeichlerisch oder ironisch eine Kellnerin, mit Ganymed einen Mundschenk, Kellner meinen. Nie kann ein Fall eintreten, der mich zwingt, diese Bezeichnungen zu gebrauchen; wohl aber behalte ich hierfür das Recht in Rede und Schrift; und wenn ich es ausübe, so macht der olympische Eigenname den gleichbedeutenden Artnamen unübersetzbar.
Nur noch einen Schritt weiter, und wir sind am Ziel. Das Thema spitzt sich auf die Frage zu, ob nicht am Ende sehr viele ganz allgemeine Bezeichnungen als Eigennamen zu betrachten sind und auch wirklich von uns so empfunden werden.
Nehmen wir z. B. den »Kaffee«, so empfinden wir zwischen ihm und anderen Artnamen, wie etwa Pferd, Fuchs, Apfel, einen Unterschied in dem Sinne, daß uns »Kaffee« unverrückbarer betont erscheint. Es ist uns nicht im mindesten auffällig, daß Pferd, Fuchs, Apfel in verschiedenen Ländern verschieden heißen, aber wir würden sehr erstaunt sein, wenn wir erführen, daß der Kaffee irgendwo wesentlich anders hieße als Kaffee. Wir fühlen, daß das Ausdruckskleid auf dem Gegenstand unabtrennbar sitzt, wie die Haut auf dem Leib, also ungefähr so, wie der Eigenname auf der Person, die ihn trägt. Im allgemeinen, ohne durchgreifende Regel, kann man sagen: je unterschiedsloser die Einzelkörper bei großer Masse auftreten, je gleichmäßiger sie auf den Menschen wirken, desto enger haftet der Name auf ihrem Wesen. Das törichte Bauernwort »auf deutsch heißt es nicht nur Brot, es ist auch Brot« wird ganz richtig in der Übertragung: es heißt nicht nur Kaffee, es ist Kaffee, denn das Sein und Heißen deckt sich für ihn fast restlos in der ganzen Welt. Und der Begriff des Wort-Übersetzens kann als unnütz und unmöglich gar nicht aufkommen.
Wie nun, wenn wir eine ähnliche Empfindung durchmachten bei Worten, die sich allenfalls übersetzen lassen, bei denen wir aber doch spüren, daß sie vom Übersetzer gewaltsam operiert werden? Der Telegraph als Gebrauchsgegenstand wird philologisch richtig ein »Fernschreiber«, aber der Telegraph als Gegenstand der Erfindung trägt seine Bezeichnung als Eigennamen. Gauß und Weber haben keinen Fernschreiber erfunden, sondern den in aller Welt gültigen Telegraphen.
Elektrizität heißt Bernsteinkraft, sofern der geriebene Bernstein als Grund der Erscheinung auftritt. Wo der Bernstein fortfällt, also nahezu überall, heißt und ist diese Kraft Elektrizität, das Wort ist zum unübertragbaren Eigennamen geworden.
Zu vielen hunderten ließen sie sich aufzählen, die Worte, die wie Logik, Philosophie, induktiv, Subjekt, Hypothese, auf rein begrifflichem Gebiet, wie Akustik, Resonanz, Motiv, Symphonie auf musikalischem etc., zu vollständigen Eigennamen geworden sind für das, was sie bezeichnen. Und hierauf beruht im letzten Grunde das Mißbehagen, das den Feinfühligen befällt, wenn man ihm Übersetzungen aufreden will; mögen diese auch sachlich und wörtlich genau und zweckdienlich sein. Es ist das nämliche Mißbehagen, das sich einstellt, wenn vor unseren Augen einem Lebewesen die Haut abgezogen wird.
Das Angewachsene, ob Haut oder Namen, abzuschinden, ist und bleibt eine Barbarei; bleibt es noch, selbst wenn es sich gar nicht um Naturkräfte, Erfindungen und erhabene Begriffe, sondern um ganz gewöhnliche Dinge des Tagesbedarfs handelt. Wenige Beispiele statt vieler: »Das Portemonnaie«. Man kann natürlich auch Geldtasche, Geldbeutel sagen. Aber warum bleibt alle Welt beim Portemonnaie? Nicht aus Laune, nicht aus sprachlicher Dickfelligkeit, sondern aus der Empfindung der Unabtrennbarkeit dieses Wortes, das dem Gegenstand als Rufname angewachsen ist. Wie auch »das Billardqueue« als Namen an dem schlanken Werkzeug haftet, mit dem man »Karambolage« spielt. Man übersetze: der »Spielstab«, der »Zusammenprall«. Aber der Billardspieler würde sich eher umbringen, ehe er sich hierzu verstände.
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