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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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für einen wagemutigen Umdeutscher nur ein kurzer Sprung. Napoleone wird zu einem Waldgebirgslöwen, das Florentiner Geschlecht der Medici zu einer Familie von Ärzten, und Marcus Tullius' »Cicero« zu einem »Kicherling.«
    Ist's wirklich der reine Ulk? oder steckt hinter dem Scherz und der Ironie eine tiefere Bedeutung? am Ende gar die sprachkritische Empfindung für den inneren Zusammenhang von Eigennamen und Gattungsnamen?
    Darauf nämlich kommt es an. Man könnte ja leichtherzig behaupten, der Eigenname sei seinem Träger angewachsen wie die Haut am Leibe, und es wäre unerlaubte Vivisektion, sträfliche Schinderei, einer Person den Namen aus irgend einem Grunde abzuziehen. Kein Zweck heilige hier das Mittel. Zugestanden. Aber dann soll man sich auch darüber klar werden, daß es sehr viel Dinge, Gegenstände, Begriffe, Unpersönlichkeiten gibt, denen der Name genau so fest, genau so persönlich angewachsen ist. So betrachtet, wird jede komische Namensverdeutschung zu einer spottenden Kritik der Allesumdeutscher überhaupt.
    Tatsächlich führt ein unmerklicher, stetiger Übergang vom strengpersönlichen nomen proprium zum Artnamen, Begriffsnamen, zum Eigenschaftswort in Substantivform. Wenn wir sagen: ein Aeskulap, ein Herkules, ein Demosthenes, ein Adonis, ein Thersites, so ist der Übergang schon vollzogen. Der Mäzen ist nicht mehr der bestimmte Maecenas, der den Horaz begönnerte, sondern jeder beliebige werktätige Kunstfreund, der Mentor nicht mehr der auf Ithaka wohnende Freund des Odysseus, sondern jeder beliebige Erzieher und Berater. Auch die umgekehrte Stetigkeit ist in zahllosen Formen nachweisbar. Augustus, der Ehrwürdige, Erhabene wird der Beiname, der Vollname des römischen Kaisers, und setzt sich über ihn, über den Vornamen August, in einer burlesken Umbildung bis zum komischen Aujust fort, der wiederum Adjektivfärbung annimmt, wenn auch eine der ursprünglichen schnurstracks entgegengesetzte. Apostata, der Abtrünnige, gesellt sich begrifflich zu Claudius Julianus und verschmilzt mit diesen Personalworten zur Namenseinheit.
    Man braucht aber gar nicht das mythologische und geschichtliche Altertum zu bemühen, das uns in Namen und Beziehungen wie Cäsar, Venus, Juno, Phryne, Vulkan (ein Gott und eine Schiffswerft), Augias, Phaeton, Pyrrhus, Ganymed, Hebe, Herostrat, Tantalus, Sisyphus usw. eine nie auszuschöpfende Menge von Begriffs-Dehnungen und Dehnbarkeiten liefert. Denn auch die Neuzeit ist voll davon, und keiner von uns kann an den Namen vorbei, die im Anwendungs-Wandel über ihre persönliche Ursprungsbedeutung hinausgewachsen sind.
    Um nur einige zu nennen: Havelock, Sir Henry, ein britischer General, verwandelt sich in einen Herrenmantel und findet dabei Gesellschaft im Ulster, der je nachdem eine Provinz in Irland und einen Überzieher bedeutet. Kremser, gut Berliner Eigenname, geht auf das Fuhrwerk über, das ein Herr Major Kremser zuerst in Verkehr stellte. Der Landauer bedeutet zwar kein Gefährt aus Landau, hängt aber geschichtlich mit dem Namen dieser Stadt zusammen. Der Machthaber John Lynch in Nordkarolina wird Wahrzeichen für die Volksjustiz gleichen Namens. Die Guillotine ist nicht die Frau des französischen Arztes Guillotin, sondern das nach ihm benannte Köpfwerkzeug. Bei Chester hat man die Wahl, ob man an den Bischofssitz nahe bei Liverpool oder an den von dort stammenden Käse denken will. Pompadour läßt die Wahl zwischen der üppigen Marquise und einem Strickbeutel, Boycott zwischen einem gewissen Gutsverwalter in der Grafschaft Mayo und einem sozialpolitischen Kampfmittel von sehr verwickelter Eigenart. Wenn ich englische Kammerdebatten verfolge, kann ich auf einen Lord Derby stoßen, der über alle erdenklichen Dinge redet, nur nicht über das, was uns vorschwebt, wenn ich nach Hamburg zum Derby fahre. Usw. ohne Aufhören.
    Es würde nicht stimmen, wenn man in dieser Betrachtung alle Namen als gleichwertig ansetzen wollte. Tatsächlich zeigen sich bei den auf Eigennamen zurückgehenden Bezeichnungen sehr verschiedene Grade der Anhänglichkeit an Gegenstand und Begriff. Das Derby zum Beispiel, gleich Derby-Pferderennen, bewahrt den Eigennamen so stark, daß kein Mensch auf den Gedanken der Verdeutschung verfällt. Es ist da ein gewisser Grad der Vermenschung eingetreten, und das Rennen führt seinen Namen wie eine Person. Beim Richter Lynch steht die Sache schon anders, und der Purist ist sofort mit der »Volksrache« oder etwas ähnlichem zur Hand. Aber es

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