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Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Das Geheimnis der Sprache (German Edition)

Titel: Das Geheimnis der Sprache (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Moszkowski
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ist die Mitwirkung des hörenden Auges ein wesentlicher Bestandteil. Die gesehene Bewegung schwingt hinüber in das Feld der Hörklänge, und der höchste Grad der Polyphonie läßt sich nur bei Zutritt der Optophonie erreichen.
    Der Klangsichtbarkeit des ausübenden Musikers entspricht der Sinnklang und Sinnrhythmus im Schrifttum, in Prosa und Dichtung. Ein einzelnes Wahrnehmungs-Organ reicht nicht aus, um sie zu erfassen; an den Grenzen der Organe vermuten wir Helfer, wenn sie auch vorerst nur in Andeutungen vorhanden sein mögen. In allem Organischen ist der Wunsch der Vorläufer der Erfüllung. Der Vogel flog nicht, weil ihm Flügel wuchsen, sondern ihm wuchsen die Flügel, weil in seinen kriechenden Altvordern ein Trieb zum Flug vorgebildet war. Und jeder Wunsch entspringt einer Not, in unserem Falle einer Sprachnot, die um so fühlbarer wird, je weiter der Prozeß der Begriffs-Verästelung vorschreitet. Durch Wort- und Satz-Ungeheuer sucht sie der Schwierigkeit Herr zu werden, in ihrer Not, mit dem Ausdruck überhaupt fertig zu werden, sei es auch um das Opfer des Klanges. Wir aber ahnen: Das Ohr der Zukunft wird sich solches Opfer nicht gefallen lassen, und es bedarf nur dieser Ahnung; sie ist gleichbedeutend mit dem Wunsche, das Zukunftsohr zu besitzen.
    Ihm werden die Angstrufe des mißhandelten Klanges erspart bleiben, denn die Sprache wird sich nicht auf alle Dauer den phonetischen Forderungen entziehen können. Sie wird andere Mittel entdecken, die Begriffsschwierigkeiten zu überwinden, wenn der Verfolg der heutigen Linie das Ohr zur Rebellion getrieben hat.
    Von diesen Mitteln liegen die meisten und wichtigsten auf dem Wege zur Universalsprache. Sie leisten klanglich was sie sollen, bewahren die Sprache vor Geschwülsten und erheben zugleich den Ausdruck zur allgemeinen Verständlichkeit. Der Sprecher und Schreiber sehr ferner Zeiten wird vielleicht einmal eine Statistik der Drachengebilde entwerfen, die wir heute für Worte und Sätze halten. Er wird sie mit den Gebilden von früher und später vergleichen und die Frage aufwerfen: wie kam es, daß gerade die Spanne vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert soviel Unausstehliches hervorbrachte und ertrug? hatten die Leute keine Ohren? Und sein Kollege von der Musik wird ihm entgegnen: Nimm dir die Noten derselben Zeit vor und prüfe sie auf melodiösen Klang; da erkennst du die Wechselwirkung: die Leute hatten zumeist wirklich keine Ohren!

In einer Sackgasse
    Noch heute wird der Gebildete von dem Gedanken an den Brand der Alexandrinischen Bibliothek schmerzlich bewegt, an jene Katastrophe, der 700 000 Bände oder Rollen, der Inbegriff des damaligen Wissens, zum Opfer fielen; und er mag es sich dabei ausmalen, was wohl geschehen würde, wenn in unseren Tagen alle Bücher in Rauch und Flammen aufgingen. Die Frage ist gestellt worden, wesentlich im Zusammenhang mit einer zweiten von noch schrecklicherem Inhalt. »Man stelle sich einmal vor, sagt Mauthner, [Fußnote: Kritik der Sprache, Band II] es würden in allen Kulturländern plötzlich alle Schriften und Bücher für immer vernichtet, dazu auch der Gebrauch der Schrift; der Gebrauch der mündlichen Sprache aber bliebe erhalten. Es wäre wohl keine übertriebene Schwarzmalerei, wenn man behauptete, daß unsere Welt damit rasch in die Kulturzustände des Mittelalters zurücksinken müßte. Unsere Erfindungen und ihre Anwendungen in der Industrie und im Verkehr könnten vielleicht noch einige Tage oder Wochen oder Jahre weiter bestehen, aber endlich könnten keine neuen Maschinen mehr gebaut werden, ein Räderwerk nach dem andern aus dem Uhrwerk unserer Kultur würde stehen bleiben, und am Ende wäre unsere Zivilisation eine Ruine, wie die Kunstuhren an alten Münstern, die man nicht mehr in Gang bringen kann, weil der Schlüssel fehlt. Denn alle Wissenschaft, deren wir uns rühmen, ist so recht eigentlich nicht in der Sprache niedergelegt, sondern in der Schrift. Und wir stellen uns vor, was freilich noch schwerer vorzustellen ist, der Gebrauch der lebendigen Sprache würde in allen Kulturländern mit einem Schlage aufhören, der Gebrauch aber und das Verständnis der Schriften und Bücher bliebe erhalten (wie man die altchinesische Schrift wohl verstehen, aber nicht aussprechen kann), so wäre dieser Zustand der Menschheit vom Standpunkte des Dichters nicht eben schön zu nennen, aber ohne Unterbrechung könnte die Kultur der Welt ihre .... Erfindungen weiter benützen und entwickeln.«
    Wer sich

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