Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
mit dem Schluß befreundet – und mir scheint er unwiderleglich –, wird zu der Ansicht gelangen, daß die Summe der Schriften und Bücher für uns Lebende, nächst dem Leben selbst, das Wichtigste ist, was wir besitzen; und daß somit auch jede Angelegenheit und Bewegung der Sprache zunächst an diesem Wichtigsten geprüft werden muß. Was sie da bewirkt und verhindert, überhaupt anrichtet, hätte uns als erheblicher zu gelten, als jeder noch so starke Einfluß auf unsere Sprache der Mündlichkeit; zudem auch aus dem einleuchtenden Grunde, weil diese in ihrer Beweglichkeit, einem schädlichen Einfluß gegenüber wehrhaft bleibt, während die festgelegte Welt der vorhandenen Schriften aushalten muß, was auf sie eindringt, ohne die Möglichkeit eines Protestes oder Gegenangriffs.
Da droht nun ein Unheil von gar nicht auszudenkenden Abmessungen, ja eigentlich wäre es gar nicht mehr abzuwenden, schon vollzogen; denn die Herolde der neuen Sprachbewegung behaupten ja nichts Geringeres als den sicheren und nahen Untergang aller nicht sprachreinen – nach ihrer Definition reinen – Bücher und Schriften. Nun unterliegt es nicht dem allergeringsten Zweifel, daß nur ein verschwindender Bruchteil der Hunderttausende von Büchern dieser Anforderung genügt. Die ungeheure Masse der Deutschbücher ist, an jenem Maßstab gemessen, schon in der Anlage verdorben, in der Ausführung unrein, verwelscht oder wie man jetzt so liebenswürdig-neckisch sagt: vermauschelt; ihr Urteil ist gesprochen, sie können ihrem Schicksal nicht mehr entrinnen, das heißt, sie werden in absehbarer Zeit verschwinden, vor allen die von Halblatein und -griechisch wimmelnden wissenschaftlichen Werke. Und damit wiederholt sich eigentlich, nur ins Riesige vergrößert, der Brand der alten Alexandrinischen Bibliothek auf deutschem Boden. Soll man sich gegen diese Gefahr versichern? das dürfte schwierig sein, denn es brennt schon. Aber den Feuermelder wollen wir in Bewegung setzen, um zu retten, was noch zu retten ist.
Es darf nicht verschwiegen werden, daß sich unter den vorgenannten Herolden einige befinden, die zur freiwilligen Feuerwehr gehören. Nach ihrem Programm wären die nicht bedingungslos verlorenen Bände zu retten, wenn man sie imprägniert, wenn man sie in einer sprachlichen Lauge badet, die ihnen die gefährlichen Fremdkörper fortbeizt; unbildlich gesagt, wenn man sie aus ihrem Scheindeutsch in wirkliches Deutsch übersetzt.
Nehmen wir einmal an, dies wäre möglich; es fänden sich tausende von rührigen, geschickten und überzeugungstreuen Übersetzern, ungezählte Millionen neuer Druck- und Verlagskapitalien und Legionen von Lesern, die sich diese Verbesserung oder Verschlimmbesserung der vorhandenen Texte gefallen ließen. Unter Annahme dieser als möglich gesetzten Unmöglichkeit sähe man dann vielleicht einen Weg, auf dem die gefährdeten Werke ins Freie gebracht werden können. Sie wären dann anders geworden, nach unserer Auffassung schlechter, undeutlicher, aus der Universalhöhe in eine Plattebene hinabgedrückt, allein sie hätten dann doch wenigstens die Erlaubnis, mit hohem Privilegio weiterzuexistieren.
Nur zeigt sich dabei im ersten Anlauf eine unübersteigliche Schwierigkeit. Der Weg führt in eine Sackgasse, an deren Gegengemäuer sich der wagemutige Retter den Schädel einrennen kann.
Jene Werke haben nämlich nicht nur einen Inhalt, sondern Titel, Titel und Würden möchte ich sagen, und sehr viele dieser Titel wollen sich um alles in der Welt nicht übersetzen lassen.
Nur von diesen Titelbezeichnungen soll hier die Rede sein, von Deutschwerken und von Fremdwerken, die bei uns heimisch geworden sind; einschließlich aller Vervielfältigungen in Noten und Tafeln. Betrachten wir die Titel für sich, im Hinblick auf das Verfahren, dem sie zu unterwerfen wären, so müssen wir bekennen: sie ragen empor wie Köpfe mit persönlichem Ausdruck, mit Profil und lebendigen Augen, die uns anschauen mit Vorwurf, Anklage und Trotz. Diese Köpfe lassen sich nicht gefallen, was vielleicht noch auf einer Textseite angängig wäre. Wer sie umformt, der trennt ihnen die Nase ab, sticht ihnen die Augen aus oder schlägt sie, so groß wie sie sind, mit dem Hackmesser vom Rumpf.
Wollt ihr Beispiele? Schlagt in euren Büchereien auf wo ihr mögt, da stehen sie. Wie heißen Schopenhauers Parerga und Paralipomena, wie seine Grundprobleme der Ethik auf deutsch? es ist zur Not möglich, die Titel zu übersetzen, aber wer das tut,
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