Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
angesprochen, wie von Übersetzungen aus dem Weltsprachigen ins Deutsche. Er spricht von der Erde und ihren »Achtbarkeiten«, wo ihm an anderer Stelle das Wort »Dignitäten« loser auf der Feder gesessen hätte, vom »Irr-Schlunde«, wofür ihm sonst »Labyrinth« leichter entflossen wäre. Aber das Wesentliche bleibt, daß sich mit diesem Inhalt nur diese Ausdrucksweise vertrug, eine auf den Tiefpunkt des Anspruchs herabgeschraubte, dem Ausdruck vorzeitlicher Propheten genäherte Primitivsprache.
Er kann auch anders, weil er im Grunde ein anderer ist . Bestimmt den Zarathustra eine gewollte und glänzend studierte Absichtlichkeit, so herrscht in seinen übrigen Prosaschriften er selbst mit seinem Feingefühl für die Sprachbedürfnisse der Zukunft, und wenn er in ihnen spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen, so spricht er eine unverkennbar international gerichtete Sprache. Seine »Genealogie der Moral«, sein »Ressentiment«, sein »Hedonismus auf morbider Grundlage«, seine »Asketischen Ideale«, vor allem sein nie zu vergessendes »Pathos der Distanz« müßten als Zitatproben verhundertfacht werden, um nur den Vokabelschatz (natürlich nicht die leiseste Spur des Inhalts) in jenen Schriften anzudeuten. Aber alle Welt hat sie genossen, und niemand erwartet hierüber besondere Beweise. Nur eine einzige Stelle möchte ich erwähnen, wiederum als Lehrmodell für die Betrachtung, die den Ereignissen vorauseilt und aus Nöten und Wehen die Art künftiger Gestalten erraten möchte. Die Stelle steht in der Götzendämmerung, sie erläutert die Gegensatzbegriffe apollinisch und dionysisch, die Nietzsche in die Ästhetik eingeführt haben will, und lautet nach einem kurzen Auftakt über die dem Auge durch apollinischen Rausch zugewiesene Kraft der Vision:
Der Maler, der Plastiker, der Epiker sind Visionäre par excellence .
Es fällt mir nicht im entferntesten bei, diesen Satz selbst als ein Musterbeispiel für Sprachbehandlung anzupreisen. Wohl aber erscheint er mir als Mustermodell für unsere Erörterung, da ihm (wenn ich nur das erste Wort abtrenne) bereits alle Merkzeichen internationaler Prägung anhaften. Man muß mir dabei schon erlauben, die beiden französischen Worte als gleichwertig mit »per excellentiam« anzusehen, was gut klassisch ist und bei Seneca vorkommt. Auf die Tiefe oder Untiefe der Stelle und ihrer zahllosen Geschwister kommt es im Zuge dieser Ausführungen nicht an, vielmehr nur darauf, daß wir aus solchen Bildungen erkennen, wohin die Reise geht: nämlich zum Allgemeinverständlichen mit verminderter, zuletzt gänzlich aufgehobener Grenzsperre; und zwar in dem Verhältnis, daß die Weltworte: hier Plastiker, Epiker, Visionär, per excellentiam , um so stärker in den Dienst der Verständlichkeit eingespannt werden, je schwieriger der behandelte Gegenstand ist. Denn je schwieriger der Gegenstand, desto weniger ist er dazu bestimmt, auf ein Land, auf ein Volk beschränkt zu werden. Er will das Weltpublikum, und er erreicht es. Nicht auf dem Weg der reinen Latinität, wie ehedem, aber mit lateinischer und griechischer Hilfe, das heißt mit Weltworten, die sich dem Bau jeder Sprache leicht einfügen und sie weder vervolapüken, noch in der Entfaltung ihrer höchsten Reize hindern. Darin liegt das Geheimnis, und wenigen neben Nietzsche ist es geglückt, daran zu rühren. Denn die Vertreter der allerstrengsten Wissenschaften, die schon heute nahezu international schreiben, beanspruchen wohl kaum, als Aufsteller blendender Sprachschönheiten gewertet zu werden.
Ich meine also: Der Zeitpunkt muß einmal eintreten, da jene durch Nietzsche bereits halbwegs vollzogene, auch sonst wahrnehmbare Gabelung der Sprache allgemein als unvermeidlich, naturnotwendig und damit als sprachgültig anerkannt werden wird. Der Gedanke hieran mag manchen erschrecken, der an der papierenen Formel Einheit und Gleichheit wie an einem eisernen Regulativ festhält. Aber wie jede Gleichheit in menschlichen Gestaltungen über einen gewissen Punkt hinausgeführt zu einem Unsinn wird, so verliert auch die Einheitlichkeit irgendwo ihre Daseinsmöglichkeit, und man wird sich entschließen müssen, sie irgendwann aufzugeben. Sie ist unverträglich mit der steigenden Entwicklung, mit den Reichtümern emporstrebender Organismen, wie denn alle Morphologie, die gesamte natürliche Schöpfungsgeschichte, nur von Abspaltungen, Gabelungen, Differenzierungen zu berichten weiß. Die einheitlich festgelegte Sprache läßt sich in
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