Das Geheimnis der Sprache (German Edition)
Riß, als der prächtige Magister Christian Thomasius (1687) an der Universität Leipzig seine akademischen Vorlesungen in deutscher Sprache ankündigte. Die Professorenzunft läutete Sturm und rief zum Kampf gegen den Vandalen, der es wagte, »das ehrliche schwarze Brett so zu beschimpfen und die Lingua latina als Lingua eruditorum hintan zu setzen.« Sie instrumentierten ihren Zorn mit denselben Kraftmitteln, mit denen die Zünftigen von heute aus genau entgegengesetzten Gründen und in genau entgegengesetzter Richtung brüllen. Wie heute das Deutsche, so sollte damals das Lateinische gerettet werden, beidemal von Leuten ohne Sinn für unaufhaltsame Naturnotwendigkeiten. Damals hieß die Notwendigkeit: Beginn des nationaldeutschen Zeitalters mit all seinen nachfolgenden Herrlichkeiten im Schrifttum. Und wiederum wird es unsere Aufgabe, die Zeichen zu deuten, um die Horizontdämmerung des Dritten Reiches zu erkennen, das unter voller Wahrung, ja sogar Mehrung des deutschen Besitzes, das übergeordnete internationale Sprachgut zur Geltung bringen soll.
Nur um den Einteilungsgrund handelt es sich im Vergleich mit der zuvor behandelten Linie, nicht um die genaue Ausfüllung eines geschichtlichen Schemas mit bezifferten Jahren. Konnte die Tat des Thomasius noch als ein Grenzzeichen gelten zwischen Kosmopolis und dem Aufruf zur deutschen Sprachnation, so fehlt ein Zeichen von gleicher Eindringlichkeit für die künftige Gestaltung. In tausend Teilerscheinungen kündigt sie sich an, mitten im nationalen Flusse, der einem uns unbekannten Ziel zustrebt. Wir schwimmen in ihm mit der Strömung, wir spüren seine stetige Verbreiterung, und wir ahnen, daß er dermaleinst in einen Ozean münden wird.
Da wir aber gern in der Erscheinungen Flucht Personen als Notbehelfe zur Orientierung verwenden, – so wie wir sagen: von Aristoteles bis Kant, – von Ptolemäus bis Kepler, – von Aeschylos bis Goethe, – so möchte ich hier, lediglich um für eine engere Zeitspanne dem Vergleichsbedürfnis zu genügen, die Ansage aufstellen: von Thomasius bis Nietzsche. Also als ein Wahrzeichen möchte ich den Weisen von Sils-Maria ansehen, mit allen erdenklichen Vorbehalten, aber in dem klaren Bewußtsein, daß jedenfalls an keinem andern das, worauf es hier ankommt, besser aufgezeigt werden könnte als an ihm.
Denn was soll hier aufgezeigt werden? Ein Gegenwärtiges und Künftiges unserer Sprache; ein Umschwungspunkt, auf dem sie so reich geworden ist, daß sie sich fortan in verschiedenen Richtungen ausleben muß, da ein einziger Weg nicht mehr imstande wäre, ihrer Fülle Raum zu gewähren. Von dem rein nationalen Weg spaltet sich ein zweiter ab: der internationale.
Nietzsche spricht bereits beide Sprachen, – Grund genug für die Unentwegten, um ihn mit ihrem inbrünstigen Hasse zu verfolgen. Denn für sie vermengselt sich das Weltbürgertum des verflossenen Latein mit der Fremdwörterei und mit der Sprache der höchsten Geistigkeit zu einem gestaltlosen Brei, als dessen Hauptanrührer sie eben den gewaltigen Sprachmeister Nietzsche betrachten; ihn, der in der Gegenwartssprache Unübertreffliches schuf und dabei hellhörig genug war, um Klänge einer ferneren Sprache aufzufangen, um Präludien zu Sprach-Fugen der Zukunft zu gestalten.
Er schrieb beide Sprachen mit dem strengen Bewußtsein ihrer Trennung nach Wesen, Laut und Herkunft. Der Zarathustra, nach seiner eigenen in Scheindunkel gehaltenen Bezeichnung »Ein Buch für alle und keinen«, ist in Wahrheit ein Buch für alle, frei von Griechisch, Alt- und Neulatein; eine Werbung um die Gesamtheit trotz der Kriegsansage an jeden Einzelnen: »Wer den Leser kennt, der tut nichts mehr für den Leser. Noch ein Jahrhundert Leser, und der Geist selber wird stinken.« Daneben aber auch das herrliche Wort: »Von allem Geschriebenen liebe ich nur das, was einer mit seinem Blute schreibt. Schreibe mit Blut: und du wirst erfahren, daß Blut Geist ist.« Nietzsches Blutschrift im Zarathustra war für die Masse der Leser bestimmt, die er lästernd begehrte, denen er mit offenen Armen entgegen kam, daß sie sich ihm entgegenwürfen, um ihn zu begreifen. An dies Begreifen macht er weitgehende Zugeständnisse, weil er zu den deutschen Lesern spricht wie in einem lyrischen Gedicht, wie in einer Feldpredigt, die auf den Grundlinien verharren müssen, um nicht aus der Art zu fallen. Denkt man an den Nietzsche der anderen Schriften, so wird man von Ausdrücken und Wendungen im Zarathustra
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